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Antje Freiesleben                                             Nils Oehler


                                 1965 in Sulzbach-Rosenberg geboren, in Lübeck aufgewachsen 1993 Archi-  1990  in Bergisch Gladbach geboren  2013  Selbstbauprojekt in Südafrika
                                 tektur-Diplom an der UdK Berlin 1994 Bürogründung mit Johannes Moder-  2014–2016 Hilfskraft am Lehrstuhl Baukonstruktion 2017 Architektur-Diplom
                                 sohn, Berlin seit 2019 Modersohn & Freiesleben Architekten Partnerschaft  an der RWTH Aachen seit 2017 Mitarbeiter bei Modersohn & Freiesleben













            Foto: Johannes Modersohn; Modersohn & Freiesleben Architekten                                                             Foto: Nils Oehler; Modersohn & Freiesleben Architekten















             Moderne Fliesenästhetik in Grün und Schwarz im Bad trifft … • Tiles in green and black in the bathroom meet …  … auf historisches Fischgrätparkett und Rundbögen im Wohnraum. • … herringbone parquet and arched openings.



             Hälfte zerstört. In den 1950er-Jahren wurde es als flaches Dach aus Stahlbetonhohldielen   ebenso der darunterliegende Schlackenbeton und Teile der Koksasche-Schüttung. Die
             wiederaufgebaut und notdürftig abgedichtet – ein überdauerndes Provisorium ohne Däm-  neuen Stahlträger wurden entkoppelt und auf den massiven Bestandswänden aufgelagert.
             mung, unter dem die Wohnungen dennoch vermietet wurden. Die Statik dieses Proviso-  So konnten wir die erhöhten Schallschutzanforderungen nach DIN 4109 Beiblatt 2 erfüllen.
             riums war im Bauamt dokumentiert, was die Planung erleichterte. Die andere Dachhälfte   Der neue Bodenaufbau hat eine Höhe von 50 Zentimetern, die für die Leitungsführung und
             war stark baufällig und wurde im Gutachten als schadstoffbelastet ausgewiesen. Die Eck-  die Schaffung zuvor nicht vorhandener Schächte genutzt werden konnte. Diese Ausführung
             türmchen waren verschwunden und nur noch in den Erkern angedeutet. In den Archiven   stellte jedoch einen erheblichen Eingriff in die bestehende Bausubstanz dar, weshalb sämt-
             fanden wir schließlich ein einziges Foto und eine Zeichnung der ursprünglichen Fassade.   liche neuen Bauteile in F90-Qualität ausgeführt werden mussten. Entsprechend wurden
             Die Entwurfsphase erfolgte in enger Abstimmung mit Denkmalpflege, Stadtplanung und   die Stahlträger allseitig verkleidet, da Brandschutzanstriche in schwer zugänglichen Berei-
             Bauaufsicht. Ein Wiederaufbau wurde begrüßt, wobei insbesondere die Betonung der Ecke   chen langfristig ungeeignet sind und regelmäßig überprüft werden müssen.
             und die exakte Einhaltung der Höhen zu den Nachbargebäuden zentrale Vorgaben waren.
             Gauben wurden notwendig, um die Räume ausreichend zu belichten. Ihre Dimension und   Ein Dach für das Eckgebäude: Funktion und Form vereint
             Gestaltung haben wir im Kontext der darunterliegenden Fassade entwickelt. Zur Hofseite
             konnten Dachterrassen eingeplant werden. Eine spezielle Regelung in Charlottenburg-Wil-  Das Dach wurde aus Pfetten und Sparren konstruiert, die auf Holz- und wenigen Stahlstüt-
             mersdorf erlaubt allerdings nur eingeschnittene Terrassen, bei denen das Dach unterhalb   zen befestigt sind. Hinter dem dominanten Giebel erhebt sich ein Satteldach, das in Quer-
             der Brüstung durchläuft. Wir konnten hier jedoch die Dachform leicht modifizieren: Ein   richtung von einem niedrigeren Walmdach durchschnitten wird. An den Seiten schließt
             flachgeneigtes, mit Stehfalzblech gedecktes Dach setzt sich vom First ab. Dadurch entstan-  sich ein abgewalmtes Pfettendach an, das sich hofseitig wie ein Sheddach öffnet, um Licht
             den Nutzräume mit minimaler Dachschräge und großen Fenstertüren zu den Terrassen.  zentral in die Wohnung zu bringen. Diese Konstruktion endet etwa in der Mitte der Gebäu-
                                                                          deflügel und betont die prägnante Ecklage des Hauses. An der straßenseitigen Fassade
             Brandschutz, Schallschutz, Denkmalschutz – ein enges Korsett  wurden zurückhaltende Gauben ergänzt, während ein neuer Giebel die Ecke zum Lud-
                                                                          wigkirchplatz akzentuiert – eine zeitgemäße Interpretation der ursprünglichen Gestaltung.
             Der Brandschutz erlaubte es uns lediglich, zwei großzügige Wohnungen zu realisieren –   Zusammen mit den beiden rekonstruierten Ecktürmchen gibt der Giebel dem Haus sein
             möglich dank der beiden ehemaligen Dienstbotentreppenhäuser. Die alten Bäume vor   markantes Erscheinungsbild zurück. Der zentrale Raum hinter dem Giebel gehört zu einer
             dem Haus verhinderten Rettungswege über eine Drehleiter im Brandfall, weshalb die   der beiden Wohnungen. Hier wird die Dimension des Daches erlebbar – mit ausreichend
             notwendigen Wege ausschließlich über die bestehenden Treppenhäuser geführt werden   Platz für eine Treppe, eine Galerie und einen exklusiven Austritt zu einer Terrasse über den
             konnten. Dafür musste das mittlere Haupttreppenhaus um einen kompletten Treppen-  Dächern, die zum Hof hin ausgerichtet ist. Die Wände der Gauben und des Giebels wur-
             lauf verlängert werden. Auch die beiden Nebentreppenhäuser wurden um einige Stufen   den in Holzständerbauweise ausgeführt, die äußerste Schicht besteht aus mineralischem
             ergänzt, um den Höhenunterschied des neuen Bodenaufbaus in den Wohnungen auszu-  Edelkratzputz, in Teilen als Kammputz gestaltet. Die Gaubenfenster sind rechteckig und
             gleichen. Der ursprüngliche Bodenaufbau wies große Unterschiede zwischen dem erhalte-  wurden mit vorgesetzten Wandschichten versehen, die bogenförmig ausgeschnitten sind.
             nen Holzdachboden und dem provisorischen Nachkriegs-Wiederaufbau auf. In dem durch   Hofseitig entstand ein flachgeneigtes Dach, das stellenweise zurückspringt und Dachter-
             Bomben zerstörten Bereich war die vorherige Decke in den frühen 1950er-Jahren durch   rassen nach Süden und Osten ermöglicht. Der hölzerne Dachstuhl bleibt an ausgewählten
             Stahlbetonhohldielen ersetzt worden, die jedoch nicht für Wohnlasten ausgelegt waren.   Stellen sichtbar und wird farblich gestaltet in die Raumfluchten integriert. So entstanden
             Gemäß statischer und brandschutztechnischer Anforderungen sowie den Vorgaben des   zwei fein detaillierte Wohnungen mit repräsentativen und privaten Räumen, die – wie in
             Schallschutzes mussten sowohl die Holzbalkendecken als auch die Stahlbetonhohldielen   den darunterliegenden Geschossen – durchgesteckt und lichtdurchflutet sind. Mit großzügi-
             mit Stahlprofilen verstärkt werden. Schadstoffbelastete Abdichtungen wurden entfernt,   gen Terrassen und weitem Blick über die Dächer Berlins bieten sie höchsten Wohnkomfort.

                                                                                                                           AIT 3.2025  •  111
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