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Gerald Kappelmann


                                                                          1968 geboren in Oldenburg 1986 Ausbildung zum Möbeltischler 2001
                                                                          Architektur-Diplom an der HAW Hamburg 2001 BDA Hamburg Studien-
                                                                                                                                      Foto: Nic Fey
                                                                          preisträger 2010 Bürogründung acollage. architektur urbanistik






























             Die spezielle und doch flexible Möblierung erlaubt eine multifunktionale Raumnutzung und Anpassungsfähigkeit. • The special yet flexible furniture allows multifunctional use of the room and adaptability.



             präsentierte sich entsprechend. Durch seine Ausgestaltung und Größe stellt dieser Raum   einem abgeschlossenen und stimmigen Gesamtbild bei. Durch diese ergänzende Beleuch-
             das Herzstück des Rathauses dar. In ihm werden die wichtigsten Entscheidungen der   tung wird der Raum in seiner Gesamtheit besser gefasst und die Materialität der raumprä-
             Stadt durch die gewählten Volksvertreter getroffen. Gleichzeitig dient der Saal als Raum   genden Holzverkleidung unterstrichen. Gleichzeitig erweitern sich die Möglichkeiten der
             für weitere, unter anderem nicht politische Veranstaltungen und soll auch zukünftig mul-  Nutzung für unterschiedliche Veranstaltungen, da dadurch unterschiedliche Intensitäten
             tifunktional nutzbar bleiben. Auch die ursprüngliche Identität des Raums, mit seinen in   und verschiedene Stimmungen erzeugt werden können.
             Braun gehaltenen, hölzernen Einbauten sollte nach dem Umbau erhalten und erlebbar
             bleiben. Parallel dazu wurde eine weitere, zweite, helle, klare und moderne Zeitschicht   Abgestimmtes Farbkonzept und flexible Möblierung
             eingeführt. Der Entwurf für die Einführung dieser zweiten Zeitschicht basiert auf folgenden
             Prämissen: Erfüllung der funktionalen Bedürfnisse, Verbesserung der – objektiv messbaren   Das Farb- und Materialkonzept basiert auf einem Dreiklang von Materialsichtigkeit im
             – Raumqualität (Tages- und Kunstlicht, technische Ausstattung), Schaffung eines Ortes mit   Bestand (hölzern), einer Nichtfarbe (Weiß) und eines Farbakzents (Blau). Die Farben Weiß
             hoher Aufenthaltsqualität und Verbesserung der Barrierefreiheit. Mobile beziehungsweise   und Blau zitieren dabei das Stadtwappen der Stadt Norderstedt. Die eigens für den Plen-
             additiv eingesetzte Elemente ergänzen die vorhandenen Raumelemente und heben sich   arsaal entwickelten Tische für die Abgeordneten lassen sich beliebig anordnen. Dadurch
             kontrastierend von diesen ab. Die Beleuchtungselemente als integraler Bestandteil der   können sie, entsprechend der Sitzverteilung der jeweils amtierenden Fraktionen, zu ein-
             ursprünglichen Deckengestaltung sowie die Ausstattungsgegenstände wurden dabei indi-  zelnen Gruppen konfiguriert werden. Die Tische bestehen aus matt lackierten, weißen
             viduell auf den Raum abgestimmt, weiter- oder neu entwickelt. Die Möblierung besteht   Aluminiumgestellen mit aufgesetzten Fronten, Tischplatten und Serviceblöcken, die die
             aus gestaffelten, halbkreisförmig angeordneten Plenarsaaltischen, der Bestuhlung, dem   technische Versorgung mit den verschiedenen Medien ermöglichen. Die Tische sind so
             zentralen Rednerpult, dem Präsidialtisch sowie einer Medienrückwand. Diese Elemente   konstruiert, dass der Austausch von einzelnen Elementen, zum Beispiel bei Verschleiß
             bilden eine ästhetische Einheit, die als neues Raumkonzept – und eben als weitere Zeit-  einer Tischplatte, leicht vorgenommen werden kann. Damit ist eine hohe Nachhaltigkeit
             schicht – deutlich erkennbar ist.                            gewährleistet. Sie stehen zusammen mit dem Serienstuhl EA 108 von Charles und Ray
                                                                          Eames und greifen die Farbgestaltung der mit blauem Hopsack-Stoff bezogenen Polster
             Optimierte Lichtsteuerung für Komfort und Energieeffizienz   der Firma Vitra auf. Eine ebenfalls aus Modulen gestaltete Präsidialtischanlage verfügt über
                                                                          in der Tischoberfläche eingelassene und ausfahrbare Monitore. Alle Tischanlagen sind
             Aufgrund der Raumgeometrie des Saals, insbesondere im Verhältnis zu den Tageslichtöff-  mobil und mit wenigen Handgriffen – für eine temporär alternative Nutzung des Saales
             nungen, stellen die Fenster nicht nur einen Bezug nach außen her, sondern sind auch eine   – leicht demontierbar und transportabel. Eine Medienrückwand, vor dem sich der Präsidi-
             „Blendquelle“. Jedoch können die vorhandenen Fensteröffnungen allein den Plenarsaal   altisch befindet, bildet einen neutralen weißen Hintergrund vor der raumhohen hölzernen
             ta gsüber nicht ausreichend belichten. Deshalb ist tagsüber eine neutralfarbige Tageslich-  Wandverkleidung aus gebeiztem Kiefernholz, die im gesamten Raum ausgeführt wurde.
             tergänzung notwendig, um einen „Tag-Charakter“ zu erreichen – in den Dämmer- und   Sie integriert die modernisierte und neu installierte Technik: eine mit vier Speziallautspre-
             Abendstunden wird auf warmfarbige Lichtquellen umgeschaltet. Durch den Einsatz von   chern mit Beam Steering-Technologie versehene Tonanlage, hochauflösende versenkbare
             Fenster-Screens wird der visuelle Komfort im Innenraum erhöht, da durch die Reduktion   98-Zoll-Monitore sowie die Vorrichtungen für Liveübertragungen. Für die unterstützende
             des Tageslichteinfalls die bereits erwähnte Blendung vermieden werden kann. Gleichzei-  Audioübertragung für Hörgeschädigte ist eine Anlage installiert worden. Dies findet über
             tig ermöglicht die Transparenz der Screens einen Ausblick. Die notwendige Intensität der   kleine Empfänger statt, an die ein Kopfhörer oder eine private Induktionsschleife mit einer
             Beleuchtung im Innenraum kann zudem durch diese Leuchtdichteoptimierung herunter-  Schnittstelle zu dem persönlichen Hörgerät angeschlossen werden kann. Die ursprüngliche
             gefahren und somit Energie eingespart werden. Die Wandaufhellung der zentralen Rück-  Gestaltung des als Gesamt(kunst)werk entworfenen Plenarsaals ist auch nach dem Umbau
             wand mit dem Stadtwappen und die Aufhellung der Wand unterhalb der Tribüne tragen zu   weiterhin sichtbar – ergänzt um eine helle und moderne Zeitschicht mit neuem Interieur.

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