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Janina Poesch
                                                                           Foto: Mario Hegewald, Stuttgart  1979 geboren 1998 Ausbildung zur Bauzeichnerin 2000–2006 Architekturstu-

                                                                                               dium Uni Stuttgart 2006–2008 Volontariat bei AIT seit 2008 Herausgeberin
                                                                                               von PLOT sowie Autorin zahlreicher Publikationen im Bereich Szenografie





























             Foto: Museum of Ice Cream, US-New York                        Foto: Patricia Buth, Stuttgart









             ... im ersten Museum of Ice Cream, New York, oder ... • ... in the first Museum of Ice Cream, New York, or ...  ... im Moco Museum, Amsterdam. • ... in the Moco Museum, Amsterdam.s




             rasanten Aufstieg des Selbstportraits zu profitieren und mit Selfie-Kulissen einzigar-  men und zum kreativen Austoben zu nutzen – selbst der Selfie-Stick wird hier gern
             tige „shareable moments“ zu generieren – stets mit dem Ziel, die eigene Bekanntheit  gesehen – sondern auch eine perfekte Ausleuchtung, das Bereitstellen von Spiegeln,
             durch die Vervielfältigung in den sozialen Netzwerken zu steigern. Somit ist es kein  um die eigene Fototauglichkeit nochmal zu überprüfen, sowie ziemlich hohe Ein-
             Wunder, dass dieser Mechanismus selbst in die altehrwürdige Welt der Museen  trittspreise, die sogar manche „echte“ Kulturinstitution toppen – bis zu 30 Euro. Und
             immer weiter Einzug halten wird. Prominente Beispiele aus den letzten Jahren ver-  natürlich die Tatsache, dass die meisten Selfie-Museen einfach doch im knallig-bun-
             anschaulichen das offensichtliche Erfolgsmodell: Als im Juli 2016 das Museum of Ice  ten Bällebad ihr Highlight finden.
             Cream in New York als erstes Selfie-Museum seine Tore öffnete, waren seine Tage
             bis zur Schließung bereits gezählt: Gerade einmal einen Monat war die Pop-up-  ... und auch teilen
             Inszenierung zu besuchen – wobei die zur Verfügung stehenden 30.000 Tickets
             schon in den ersten fünf Tagen ausverkauft waren. Die sozialen Medien hatten die  Falls Museumsfachkräfte, Kuratoren und Ausstellungsgestalter nun denken, diese
             pink-pastellfarbene Eiscreme-Szenerie zu einem Erfolg gemacht, noch bevor sie  Fallstudie sei mit einfachen Mitteln auf die eigene Einrichtung übertragbar, sollte
             überhaupt eröffnet wurde. Der begrenzte Zeitrahmen mit Time Slots mag Instagram-  zuvor erwähnt werden, dass es keine Blaupause für den Erfolg in der Größenord-
             Fans dabei besonders angezogen und Begehrlichkeiten nach dem exklusiven Foto  nung des Museums of Ice Cream gibt. Dennoch lässt sich das Modell durchaus an-
             beziehungsweise dem einzigartigen Erlebnis geweckt haben.     wenden, wenn die Verantwortlichen die aktuellen Bedürfnisse der Besucher kennen
                                                                           und ihr Verhalten zu deuten wissen: Vor allem die jüngeren Zielgruppen erwarten
             Bekannte Bilder erzeugen...                                   Neues beziehungsweise Innovatives, um sich überhaupt mit Museumssammlungen
                                                                           zu beschäftigen. Sie wollen vielmehr Teil von etwas sein als nur stille Konsumenten.
             Auch der Standort der Selfie-Kulisse spielte eine große Rolle: Mitten im Meatpacking  Zudem schwelt in ihnen der Wunsch, kaum eine ungewöhnliche Erfahrung zu ver-
             District wollten die Initiatorinnen Maryellis Bunn und Manish Vora die design- und  passen, das Erlebte natürlich in den sozialen Netzwerken zu teilen und dadurch die
             kunstaffine beziehungsweise trendbewusste Klientel auch für ihr Haus begeistern.  eigene Bekanntheit zu steigern. (Dass die Bekanntheit der Institution ebenfalls ge-
             Es ist ihnen gelungen: Mittlerweile zählt das Museum of Ice Cream auf Instagram zu  steigert wird, ist dabei ein schöner Nebeneffekt.) Dementsprechend sind visuell in-
             den weltweit zehn beliebtesten „Museen“ – gemeinsam mit dem Pariser Louvre und  teressante Bilder – mit oder ohne Selfie – das A und O jeder neuen Ausstellungsge-
             dem New Yorker Metropolitan Museum of Art. Mehr als 200.000 Posts lassen sich  staltung: Wenn Menschen bereit sind, Fotos von ihren Mahlzeiten zu posten, dann
             unter dem Hashtag #museumoficecream finden, und der farbenfrohe Spielplatz für  werden sie das auch für alles tun, was einen kulturellen Erlebniswert hat. Es geht
             Erwachsene hat Nachahmer auf der ganzen Welt gefunden. Allen gemein ist nicht  also nicht darum, die eigenen Erwartungen in Bezug auf die Besucher herunterzu-
             nur die Idee, die vielen inszenierten Settings aktiv zum Posieren, Fotografieren, Fil-  schrauben oder sich mit einem Publikum auseinanderzusetzen, dessen Aufmerk-

                                                                                                                            AIT 9.2021  •  113
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