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Entwurf • Design Francisco Pardo Arquitecto mit Julio Amezcua
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                                                                              Standort • Location Milán 44, Colonia Juárez, MX-Mexico City
                                                                              Nutzfläche • Floor space 1.016 m 2
                                                                                                                                          Foto: Ana Hop
                                                                              Fotos • Photos Diana Arnau, MX-Mexico City
                                                                              Mehr Information ab Seite • More information on page 154

































                Authentischer Charakter durch individuelle Gestaltung: Beton, rohes Sperrholz, Holzlatten und schlanke Stahlprofile. • Authentic look achieved by individual design: made of concrete, untreated plywood and wooden slats.


                von • by Annette Weckesser
                B   arrio Abarotes Comida – Nachbarschaft, Lebensmittelgeschäfte, Essen – steht in  Stadtbaustein werden zu lassen, der die Moderni sierung des Stadtteils mitgestalten
                                                                              kann. Die Architekten legten die Stahl betonstruktur des einstigen Lagerhauses frei
                    großen Lettern und weithin sichtbar auf der Fassade. Auf vier Geschossen plus
                Dachterrasse trifft sich hier ein vorwiegend junges und jung gebliebenes Publikum  und ließen das regelmäßige Raster der Stützen und  Träger  zum Haupt -
                zum Einkaufen und Essengehen. Milán 44 heißt die hippe, in diesem Jahr fertigge-  charakteristikum des Milán 44 werden. Verschwunden sind die blinden Fassaden und
                stellte neue Anlaufstelle im Bezirk Colonia Juárez, westlich der historischen Altstadt  die falsche Haut. Die ursprünglich nur auf ihre tragende Funktion reduzierten, teils
                Mexico Citys. Der Stadtteil befindet sich an der Schnittstelle zweier völlig gegensätz-  verhüllten, teils krude übermalten Betonstützen, -träger und -wandscheiben bekamen
                licher Bezirke. Auf der einen Seite liegt Mexico Citys boomendes Wirtschafts zentrum  eine wichtige, gestaltgebende Funktion. Auf den vier Ebenen des Eckgebäudes wur-
                mit zahlreichen Banken, Büros, Botschaften, der Börse sowie gehobenen Hotels und  den ein  zweigeschossiger Lebensmittelmarkt, mehrere Restaurants und  zahlreiche
                Restaurants. Das Herz dieses Viertels schlägt im Rhythmus des Paseo de la Reforma,  kleine, inhabergeführte Läden angesiedelt, darunter auch ein Friseur und ein Yoga-
                der in Ost-West-Richtung verlaufenden Haupt verkehrsader. Auf der anderen Seite pul-  Studio. Un lugar para todos – ein Ort für alle – ist in großen Buchstaben im zur Straße
                siert mit dem Bezirk Roma Norte das lebendige Epizentrum der Hipster-Subkultur  offenen Haupttreppenhaus zu lesen. Und tatsächlich ist das Milán 44 zu einem beleb-
                Mexico Citys. Diese Gegend, die seit dem Erdbeben von 1985 einem kontinuierlichen  ten, vom Publikum intensiv genutzten, neuen öffentlichen Raum geworden. Innen
                Niedergang unterworfen war, wird seit geraumer Zeit peu à peu reanimiert. Für neues  herrscht eine urban-entspannte Atmosphäre,  wie man sie auch aus europäischen
                Leben sorgt auch der an der Straßenecke Roma/Milán gelegene Komplex Milán 44,  Stadtteilzentren kennt, nicht chic und teuer, sondern hip und cool sowie einfach, aber
                entworfen von Francisco Pardo und Julio Amezcua. Die viergeschossige, komplett mit  wertig in der Materialität.
                Glas ausgefachte Stahlbetonskelettstruktur und ihr Dach garten wirken bereits auf den
                ersten Blick sehr einladend und offen. Von außen ist dem Gebäude kaum anzusehen,  Variable Shop-Bausteine: Einheit trotz Vielfalt
                dass es sich um ein Renovierungsobjekt handelt – so jungfräulich wirkt das Stahl -
                betonskelett. Dass die beiden Architekten ganze Arbeit leisteten, zeigt ein Blick auf  Für die Restaurants und Läden haben die Architekten ein für alle gleiches, variables
                Fotos des Originalgebäudes. Das um 1900 erbaute Eckhaus war vormals Sitz eines  Standsystem entwickelt,  welches Einheit in der  Vielfalt und ein harmonisches
                Lagerhauses für Autoteile und Elektroartikel. Mit seinen von Sprayern verunstalteten  Gesamtbild garantiert. Aus Beton, rohem Sperrholz, Holzlatten und schlanken
                Garagentoren im Erdgeschoss und den großflächig geschlossenen Fassaden der obe-  Stahlprofilen  wurden Stände und Displays generiert. Die Bespielung dieses Shop-
                ren Geschosse machte das Gebäude zuletzt einen äußerst abweisenden, herunterge-  Systems mit allerlei bunten Waren – Lebensmitteln, Blumen, Kosmetikartikeln – lässt
                kommenen Eindruck. ReUrbano erkannte das Potenzial des Gebäudes. Der in Mexico  ein lebendiges Gesamtbild entstehen. Einziger Farbtupfer ist das grün-gelbe, massive
                City ansässige Projekt entwickler steht keineswegs für anonyme Investorenarchitektur,  Treppenhaus. Von außen ablesbar und gut auffindbar erschließt diese Treppe sämtli-
                sondern, ganz im Gegenteil, für die Revitalisierung von Stadt vierteln durch individu-  che Geschosse, um einen nahtlosen Übergang  zwischen innen und außen, dem
                elle, authentische Sanierungs projekte. In Francisco Pardo und seinem Mitstreiter Julio  Gehweg und dem Markt, der Straße und der Dachterrasse zu schaffen. Auf ebenjener
                Amezcua hatte ReUrbano geeignete Projektarchitekten gefunden. Der mit zahlreichen  Dachterrasse wird es abends brummend voll. Für die Bewohner des Viertels eine will-
                Preisen bedachte Francisco Pardo, Absolvent der New Yorker Columbia University,  kommene Gelegenheit, um dem Großstadtrauschen auf Straßenniveau zu entfliehen,
                widmet sich verstärkt lokalen und sozialen Projekten in seinem Heimatland und ver-  an der Bar ein Feier abendbier zu bestellen und die Aussicht zu genießen. An einfa-
                steht seinen Beruf als Werkzeug, um die soziale Entwicklung per Architektur voranzu-  chen Biertischen und -bänken und umrankt  von Kletterpflanzen können sich die
                treiben. Gemeinsam mit Julio Amezcua, mit dem er gemeinsam 16 Jahre lang das  Gäste fast  wie  zu Hause fühlen. Ein massiver Kontrast  zum Business District in
                Büro AT103 betrieb, nahm er sich vor, das in die Jahre gekommene Gebäude zu einem  Sichtweite und ein Stück Kiez-Gefühl mitten in Mexico City.



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