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WOHNEN  •  LIVING LITERATUR •  LITERATURE
           LITERATUR








            NEUE BUCHTITEL ZU UNSEREM HEFTTHEMA WOHNEN UND AKTUELLE MONOGRAFIEN


































            Kinder der Moderne                       Vertical Living                          wohnen 60 70 80


            „Vom Aufwachsen in berühmten Gebäuden“ erzählt das  Hoch hinaus auf minimalem Grundriss – städtische Nach-  Ein Baudenkmal bewohnen – das klingt leicht nach ural-
            Buch von Julia Jamrozik und Coryn Kempster. Aus dem  verdichtung und das Schaffen von kompaktem Wohn-  ten Fachwerkhäuschen. Natürlich aber hat die Bauge-
            Leben  der  Kinder  von  damals  in  der  Architektur  von  raum im Bestand oder auf schmalen Grundstücken sind  schichte auch in jungen Epochen Erhaltenswertes her-
            heute. „Growing up modern“, wie der Titel im englischen  spezielle Bauaufgaben, mit denen sich Architektur- und  vorgebracht. Oft ist hier noch nicht der Alterswert, son-
            Original noch besser verrät. J. J. P. Ouds Reihenhäuser in  Innenarchitekturbüros immer häufiger auseinandersetzen  dern vor allem der hohe Zeugniswert ausschlaggebend
            der Weißenhofsiedlung, Ludwig Mies van der Rohes Villa  müssen. Bei der Debatte rund um die Frage „Wie lässt es  für die Einordung als Baudenkmal. Als Produkt eines
            Tugendhat, Hans Scharouns Haus Schminke, Le Corbu-  sich trotz geringem Raum und mit sich stetig wandelnden  langjährigen Inventarisierungsprojektes hat die Vereini-
            siers Unité d´Habitation. Vier Architekturikonen, denen  Wohnbedürfnissen  und  -ansprüchen  in  Großstädten  gung  der  Landesdenkmalpfleger  nun  erstmals  einen
            längst ein musealer Charakter beiwohnt. Umso spannen-  leben, ohne Abstriche an Komfort und Luxus machen zu  bundeseinheitlichen Überblick der zwischen 1960 und
            der der retrospektive Blick unbefangener Kinderaugen;  müssen?“, sind individuelle und kontextbezogene Gestal-  1990 entstandenen Baudenkmäler im Bereich der Wohn-
            die das Gebäude als das wahrnahmen, als was es konzi-  tungsansätze notwendig. Vertical Living präsentiert zahl-  bauten herausgegeben. Alles ist in diesem Buch sorgsam
            piert wurde – als Wohnhaus. Gemeinsam mit ihrem Sohn,  reiche gelungene Projekte – insbesondere spannungsvolle  zusammengeführt: historisches und aktuelles Bildmate-
            der sie zum Buch inspirierte, bereisten die beiden Kana-  und wirkmächtige Treppenentwürfe – von Architektur-  rial, Pläne, Baudaten. Die Erläuterungstexte wurden von
            dier Europa und besuchten die avantgardistischen Bauten  schaffenden aus aller Welt, die alle auf ihre ganz eigene  Mitgliedern  der  Projektgruppe  –  Denkmalpfleger  und
            sowie ihre einstigen Bewohner. Eine Art dokumentarische  Art und Weise funktionieren – ganz getreu dem Motto:  Kunsthistoriker  –  verfasst.  Mit  inhaltlicher  Tiefe  und
            Denkmalpflege. Die Geschichten sind dabei so unter-  „Einheitsgrößen passen eben nicht jedem, und keine Lö-  trotzdem von angenehmer Lesbarkeit porträtieren sie
            schiedlich wie ihre Protagonisten selbst. Von ernüchtern-  sung gleicht der anderen!“ Eingeschoben zwischen den  unterschiedliche  Bauaufgaben:  private  Wohnhäuser,
            den Äußerungen des Philosophen Ernst Tugendhat – dem  Bildstrecken der einzelnen Projekte finden sich Profilbe-  staatliche Repräsentationsbauten, Klein- und Großsied-
            es „völlig gleichgültig“ ist, wo er wohnt – bis hin zu den  schreibungen und Kurzinterviews zu Büros, deren Fokus  lungen sowie Hochhausbauten. Auch Stellungnahmen
            schwärmerischen Erinnerungen Gisèle Moreaus – die bis  auf eben solchen Sonderlösungen liegt. Abgerundet wird  zu den besonderen Herausforderungen, die mit der Er-
            heute in der Unité lebt und so den Wohnblock als Kind,  das Kompendium des vertikalen Wohnens – in typischer  haltung einiger Bauwerke dieser Zeit einhergehen, wer-
            Mutter und Großmutter genießen durfte. Oral History be-  gestalten-Manier und -Aufmachung – durch spannende Es-  den geliefert. Stilprägende, wegweisende Gebäude  von
            gleitet von historischen wie auch aktuellen Fotografien  says zur Geschichte und zu aktuellen Trendbewegungen  weitgehend unbekannten Architekten lernt man hierin
            und Plänen. Mit seinem vollflächig bedruckten Leinenein-  der städtischen Nachverdichtung. Wer also Inspiration für  ebenso kennen, wie frühe Werke von späteren Stars, bei-
            band, Rotschnitt und türkisfarben schimmernder Prägung  Mikro-Apartments  und  Wohnkonzepte  auf  schmalem  spielsweise das Hamburger Haus Köhnemann (1968)
            präsentiert sich das Buch auch äußerlich wertig.  sf  Raum sucht, wird in Vertical Living sicher fündig!           pb  von Meinhard von Gerkan und Volkwin Marg.  kk

            Kinder der Moderne – Vom Aufwachsen in berühmten Gebäuden  Vertical Living – Compact Architecture for Urban Spaces  wohnen 60 70 80
            Von Julia Jamrozik und Coryn Kempster.   Herausgegeben von gestalten.             Herausgegeben von der Vereinigung der Landesdenkmalpfleger.
            Erschienen 2021 im Verlag Birkhäuser, Basel.  Erschienen 2021 bei gestalten, Berlin.  Erschienen 2020 im Deutschen Kunstverlag, München.
            Deutsch. 328 Seiten. Hardcover. Format: 24,5 x 17,7 cm. 40,00 EUR.  Englisch. 272 Seiten. Hardcover. Format: 21 x 26 cm. 39,90 EUR.  Deutsch. 224 Seiten. Hardcover. Format: 28 x 21 cm. 39,90 EUR.
            ISBN 978-3-0356-2167-9                   ISBN 978-3-89955-871-5                   ISBN 978-3-422-98154-6

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