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WOHNEN  •  LIVING

































            APARTMENT

            IN PRAG



            Entwurf • Design No Architects, CZ-Prag


            Durch die Neuorganisation des Grundrisses und ein konsequent
            einheitliches Möblierungskonzept in allen Räumen ist es dem
            tschechischen Büro No Architects gelungen, eine Altbauwohnung
            im Prager Stadtteil Dejvice in einer anderen Dimension wahr-
            nehmbar zu machen. Der bauliche Eingriff braucht den Vergleich
            zu königlichen Residenzen (fast) nicht zu scheuen.



            von • by Susanne Lieber, Zürich
            A   rchitektonischen Durchblick schätzte bereits der französische Sonnenkönig Lud-
                wig der XIV. (1638–1715). Die Enfilade in seinem Versailler Schloss – also die Ab-
            folge der hintereinander liegenden Zimmer, deren Verbindungstüren auf einer Sicht-
            achse liegen – hat beeindruckende Ausmaße. Sie sorgt noch heute für imposante
            Durchblicke, die die Dimension des Barockpalastes auch im Inneren ablesbar ma-
            chen. Der Zutritt der einzelnen Räume folgte übrigens einem strengen Hofzeremoniell
            und gab darüber Auskunft, welchen Status der jeweilige Besucher damals genossen
            hatte: Je weiter er sich dem hinteren Teil der Enfilade nähern durfte, desto höher sein
            Rang, denn dort befanden sich die privatesten Räume des Königs. Das Enfilade-Prin-
            zip machte sich auch das Büro No Architects beim Umbau einer Prager Altbauwoh-
            nung zunutze. Und artikuliert dabei ebenfalls räumliche Großzügigkeit! Wenngleich
            in deutlich bescheidenerem Ausmaß, als es im Schloss des Sonnenkönigs zum Tragen
            kam. Der Grundriss der Wohnung wurde neu organisiert und die Haupträume so mit-
            einander verbunden, dass bei geöffneten Türen die Gesamtlänge von 16 Metern voll-
            ständig sichtbar wird. Auf den Stirnseiten befinden sich jeweils die Schlafzimmer,
            also die privaten Rückzugsräume. Der Wohnbereich und die Küche mit Essplatz und
            angegliederter Loggia wurden durch einen Wanddurchbruch miteinander verbunden
            und bilden nun ein offenes Ensemble. Der Clou versteckt sich dabei hinter einer
            raumhohen und grifflosen Tür aus Eiche: Hier wurde zusätzlich ein winziges Büro in-
            tegriert, das nicht größer als eine Vorratskammer ist, aber trotzdem ungestörtes Ar-
            beiten ermöglicht. Ein echter Pluspunkt, den man spätestens seit Coronazeiten be-
            sonders zu schätzen weiß. Über die Loggia wird der Arbeitsraum im Miniformat mit
            Tageslicht versorgt. Besonderes Merkmal des Umbauprojekts sind die maßgefertigten
            (Einbau-)Möbel, die einen formal stimmigen Bogen zwischen allen Räumen schaffen.
            Eichenholz, crémefarbene Lackoberflächen und Details in Messing dominieren und
            tragen zu einem eleganten, beinahe etwas braven Charakter bei.

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