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Entwurf • Design Stephan Walter / F64 Architekten, Kempten
Hermann Rudolph Bauherr • Client privat
Standort • Location Kempten (Privat)
1952 in Weiler-Simmerberg geboren 1972–1976 Architekturstudium in Konstanz 1976–1978 diverse Praktika in Fertigstellung • Completion September 2011
verschiedenen Architekturbüros seit 1978 Geschäftsführender Gesellschafter der Concrete Rudolph GmbH in Nutzfläche • Floor space 468 m 2
Weiler-Simmerberg Fotos • Photos Rainer Retzlaff, Waltenhofen
Dank der Audiothermdecken wird die akustische Wirkung der vielen schallharten Oberflächen ausgeglichen. • Thanks to the Audiotherm ceilings, the effect of the numerous acoustically hard surfaces is compensated.
D as Gebäude schließt eine Baulücke in einem seit den 1930er-Jahren gewachse- Heizungssystem ist nicht konvektiv wie bei einer Fußbodenheizung. Dadurch werden
die sonst übliche Luftwalze und die damit verbundene Hausstaubaufwirbelung ver-
nen Quartier aus locker verteilten Wohnhäusern. Die starke Durchgrünung, die
ruhige Wohnlage und die Nähe zum Kemptener Stadtzentrum kennzeichnen den her- mieden. Da die Luft nur gering zirkuliert, bleibt der vorhandene Hausstaub aus
vorragenden Standort. Das Grundstück ist leicht ansteigend. Formbestimmend war Milben, Schimmelpilzen und Sporen am Boden und wird nicht eingeatmet. Im
darüber hinaus der Wunsch der Bauherren, von möglichst vielen Aufenthaltsräumen Sommer kann dieses System auch zur Kühlung herangezogen werden: Der Lastfall
einen ebenerdigen Zugang zum Garten zu besitzen. Das Raumprogramm umfasst Kühlen wird durch Vorlauf temperaturen von 17 bis 20 Grad Celsius über die vorbe-
einen großzügigen Wohn- und Essbereich mit einer integrierten Lese- und Spiel - schriebenen Heiz- und Kühlrohre abgedeckt. Beide Lastfälle – Heizen und Kühlen –
galerie, drei Kinder zimmer sowie ein Elternschlafzimmer samt den entsprechenden werden bei diesem Projekt durch eine reversible Wärmepumpe in Verbindung mit
Bädern sowie einen Gästebereich. Das Gebäude wurde vollständig aus kerngedämm- zwei Erdsonden von 110 Meter Länge nachhaltig abgedeckt. Eine hochwärmege-
ten Beton wänden als Halbfertigteil kons truk tion errichtet. In die Halbfertigteildecken dämmte Gebäudehülle sowie eine kontrollierte Lüftungsanlage mit Wärme rück -
wurden wiederum ober flächennah Heiz- und Kühlregister sowie Akus tik absorber gewinnung ergänzen das Energie konzept.
integriert. Diese soge nannte Audio therm decken-Konstruktion wurde speziell für das
Projekt entwickelt und realisiert. Die Bö den im Erdgeschoss sind fugen los mit dunkel ... Heizen, Kühlen und Schallabsorbtion in einem Bauteil
eingefärbtem Zement beschichtet. Im Ober geschoss korrespondieren rustikale
Eichenholz dielen und Eichen holz fenster mit den Betonflächen. Zur Verbesserung der Raumakustik wurden wiederum Reapor-Akustikabsorber aus
Bläh glas granulat als sogenannte Streifenabsorber in die Unterseite der Betonfertig -
Die Audiothermdecken verbinden die Funktionen ... teildecken werkseitig eingebaut. Durch die Wirkungsweise der Absorber konnte die
Raumakustik um circa 70 Prozent verbessert werden. Die Deckenunterseite wurde
Für die Gestaltung des Wohn- und Essbereiches wünschte sich die Bauherrenschaft hierbei op tisch neutral mit einer glatten Akustikspachtelung in weißer Ausführung
möglichst glatte und authentische Oberflächen in Betonoptik, ausgestattet mit einer nachbehandelt. Nach dem bekannten Stand der Technik war es bisher nicht möglich,
minimalistischen Möblierung ohne textile Elemente. Ausgeführt wurde die entspre- die Leistungsmerkmale Heizen und Kühlen direkt mit akustischen Einbauten in einer
chende Wohnhalle mit einer Raumhöhe von 3,80 Metern und komplett verglasten Betondecke zu vereinen. Üblicherweise werden bei derartigen Anforderungen abge-
Längsseiten, wodurch ausschließlich schallharte Oberflächen entstanden. Auf die hängte Deckensysteme verwendet. Diese haben den Nachteil, die Raumhöhe extrem
üblichen akustischen Einbauelemente wie Deckensegel oder abgehängte Akustik - zu reduzieren. Zudem sorgen sie für unruhige Oberflächen und verlängern nicht zu -
decken sollte jedoch aus ästhetischen Gründen verzichtet werden. Deshalb entschied letzt die Bauzeit enorm. Abgesehen davon sind diese Systeme wesentlich teurer als
sich der Architekt Stephan Walter vom Kemptener Architekturbüro F64 für den Einbau die zuvor beschriebene Audiothermdecke. Die thermisch getrennte Klimadecke mit
einer gemeinsam mit uns entwickelten Audiothermdecke, die nicht nur die Funk - ihren kurzen Reaktionszeiten wurde bereits 2003 von uns entwickelt und inzwischen
tionen Heizen und Kühlen beinhaltet, sondern auch merkbar die akustischen Eigen - bei vielen Bauvorhaben im Wohn-, Objekt- und Gewerbebau erfolgreich eingesetzt.
schaften des Raumes verbessern sollte. Der Bereich Heizen funktioniert nach dem Durch die Integration der vom Fraunhofer-Institut in Stuttgart entwickelten Strei fen -
Prinzip der Wärmestrahlung über energetische Wellen ähnlich der Wirkungsweise von absorber aus Blähglasgranulat konnte auch eine akustische Wirksamkeit der Decken
Sonnenstrahlen. In den thermisch getrennten Betonfertigteildecken sind oberflächen- erreicht werden. Unser Dank gilt insbesondere dem Architekten, Stephan Walter, und
nah Heiz- und Kühlrohre ähnlich wie bei einer Fußbodenheizung bereits werkseitig der Bauherrschaft, die diese innovative Ent wicklung erstmalig als Pilotan wen dung
eingebaut (Green Code Klimadecke). Durch die thermische Trennung werden unterstützt haben. Inzwischen wurde das Audiothermsystem auch erfolgreich im
Reaktionszeiten von unter einer Stunde für den Heiz- und Kühlfall ermöglicht. Dieses Objekt gewerbebau zum Beispiel in Bürogebäuden und Kindergärten eingesetzt.
AIT 7/8.2016 • 139