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PVG 31° 8’ 36’’ N, 121° 48’ 19’’ O (Shanghai Pudong) Daniela Keck
Architekturstudium, Mitar-
beit in Architekturbüros und
als wissenschaftliche Mitar-
beiterin an verschiedenen
Hochschulen, Freie Autorin
Armut und Luxus
Wenn wir es nach „Corona“ wieder wagen heit und Zukunft, Alt und Neu ineinander If, after “Corona”, we dare to leave our pri-
sollten, aus unserer privaten Blase auszu- verwebt. Neri&Hu legen subtil über die vate bubble and fly into the big wide
brechen, um uns leibhaftig mit zwei gelie- teils geschichtsschweren Spuren, die von world, the Waterhouse in Shanghai desi-
henen Flügeln in die große weite Welt ent- Gewalt, Folter und Exzessen erzählen, gned by Neri&Hu might be the perfect de-
schweben zu lassen, bietet das „Water- neue ablesbare Schichten, die diesen Ort stination. The former warehouse comple-
house“ in Shanghai von Neri&Hu die per- zu einem pulsierenden, weltoffenen und mented by the architects with differentia-
fekte Landebahn. Gelegen im South Bund gleichsam intimen und komfortablen ted spatial layers could be a starting point
District, zwei Kilometer südlich der alten Wohnraum auf Zeit machen. Frei und si- into the bizarre melting pot Shanghai. Oc-
kolonialen Prachtpromenade „Bund“ am cher kann man sich dieser Choreographie cupied by the Japanese in 1937 as military
Ufer des Huangpu, wird das von den Ar- des Raumes überlassen, den Blick schwei- headquarters and earlier even a trading
chitekten mit differenzierten Raumschich- fend zwischen der Skyline „Pudong“ und centre for opium, the building is today an
ten ergänzte Hotel und ehemalige Lager- dem eigenen Bettlaken, über den Straßen- accessible time loop merging what is pri-
haus zum möglichen Ausgangspunkt für raum hinweg die Containerschiffe des Hu- vate and public, the past and the future,
eine Expedition in die bizarre und gegen- angpu verfolgen, um im nächsten Mo- the old and the new. Neri&Hu subtly put
sätzliche Welt des Schmelztiegels Shang- ment die bedrohlich nahen Einschusslö- new layers over the traces in part telling of
hai. 1937 von den Japanern als militäri- cher an der Wand zu fokussieren. Nach violence, torture and excess and thus tur-
sches Hauptquartier besetzt und zuvor in einem rauschhaften Streifzug durch diese ned the venue into a cosmopolitan yet in-
den 1920ern gar ein zentraler Umschlag- maßstabslose Stadt zwischen Armut und timate and comfortable temporary resi-
platz für Opium, ist das um ein überhohes Luxus fühlt sich das „Waterhouse“ wie ein dence. After an intoxicating foray through
Fotos: Daniela Keck Geschoss aufgestockte Gebäude heute Kokon an, der uns im Strom der neuen this city between poverty and luxury, the
20er bestehen lässt, um uns im richtigen
Waterhouse is like a cocoon that shelters
eine begehbare Raum- und Zeitschleife,
die Privates und Öffentliches, Vergangen-
us and then sets us free again.
Augenblick wieder freizugeben.