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Nina Marissa Müller


                                  2013–2017 Bachelor Innenarchitektur, HS Rosenheim 2017–2019 Master of
                                  Interior-Architectural Design (IMIAD), HFT Stuttgart 2018 Praktikum bei
                                  Puccini Group, US-San Francisco seit 2019 bei Dittel Architekten, Stuttgart





             durch die innenarchitekturrelevanten Emotionen Vertrauen und Neugierde ergänzt. Ver-
             trauen kann in der Innenarchitektur als essenziell angesehen werden. Es basiert auf
             dem Grundbedürfnis nach Sicherheit und damit auf dem Ursprung des menschlichen
             Häuserbaus. Ähnlich verhält es sich mit der Neugierde. Gerade für die Gestaltung birgt
             die Neugierde eine große Notwendigkeit, denn sie soll durch die Innenräume selbst aus-
              gelöst werden. Sie bringt Spannung in den Raum und bildet eine Erwartungshaltung
              gegenüber dem Offensichtlichen oder Verborgenen. Der Instinkt der Neugierde löst
              Überraschung aus und ist daher eng mit der Emotion Überraschung verbunden. Dieser
              Instinkt kann eine Handlung auslösen, da Neugierde einen hohen Motivationsfaktor
             aufweist und die Kreativität und das Lernen fördert. Funktional ist die Neugierde sogar
             ein Auslöser weiterer Instinkte. Im Allgemeinen muss an dieser Stelle angemerkt wer-
             den, dass gerade im Bereich Design und Gestaltung auch die negativen Emotionen
             wichtig sind, da sie positive Begleiteffekte wie Mitgefühl und Mut mit sich bringen. Weg-
             weisend entscheiden sie über Missfallen oder Gefallen und bedingen die menschliche
             Gefahrenerkennung. Gestaltungsrelevante Emotionen sind besonders im alltäglichen
              Leben wiederzufinden und rufen eine entsprechende Grundmotivation hervor, die so-
              wohl als positiv als auch negativ eingestuft werden kann. Es ist zu unterscheiden, ob  Die Grafik zeigt Emotionen im Wandel der Zeit. • The graph shows emotions in the course of time.
              der Raum eine Emotion ausstrahlt oder eine Emotion auslösen soll. Ein Raum kann
             ängstlich und zurückgezogen wirken, muss sich hingegen, wenn er Angst auslösen soll,
             aggressiv und einschüchternd zeigen. In der Innenarchitektur sind der visuelle Reiz und  Ableitung von Emotionen im Raum durch Basisemotionen • Emotions in the room due to basic emotions
             der akustische Reiz die zwei bedeutendsten Einflussfaktoren. Der Innenraum besitzt
             einen hohen visuellen Anteil an hintereinanderliegenden Flächen, die die räumliche
             Wahrnehmung erst möglich macht. Zudem muss ein Blick auf die taktile Wahrnehmung
             (Oberfläche, Temperatur und Schmerzwahrnehmung) geworfen werden.

             Die Korrelation Raum und Mensch offenbart absolute Emotionen

             Überraschende Momente werden durch neuartige, widersprüchliche und verwirrende
             Reize verursacht. Der/die Empfänger/in wird dadurch zum Nachdenken angeregt. Dies
             ist wohl die schwierigste Art der Emotionsvermittlung, da die Emotion erst wahrge-
             nommen, verarbeitet und identifiziert werden muss, um den erwünschten Schluss dar-
             aus ziehen zu können. 80 Prozent unserer Entscheidungen im Alltag werden aus dem
             Bauch heraus getroffen, denn Emotionen laufen meist unbewusst im Hintergrund ab.
             Diese Aussage stützt sich auf das Eisbergmodell von Sigmund Freud (1856–1939). Im Ge-
             genzug wird klar, wieso Räume mit einer psychologischen Wirkung im Unterbewusst-
             sein des Menschen verankert sind. Aufmerksamkeit ist der Beginn der Wahrnehmung.
             Daher ist es die Aufgabe eines Innenarchitekten, die Aufmerksamkeit auf den gebauten
             Raum und dessen immense Wirkungskraft zu richten. Aus architektonischer Sicht do
             cken gebaute Räume immer an Erlebnisse und Erinnerungen an und schaffen in einem
             weiteren Schritt eine Assoziation mit Bekanntem. Kann diese Verbindung nicht herge-  Ein Parcours an Emotionen als Grundlage der Raumgestaltung. • A circuit of emotions or interior design
             stellt werden, wird das Empfinden durch die reine visuelle Wirkung beeinflusst. So sind
              Bahnhöfe und Flughäfen einerseits mit einer Erwartungshaltung der Neugierde, Über-
              raschung und Vorfreude auf eine anstehende Reise verknüpft, andererseits lösen diese
              öffentlichen Orte Gefühle wie Angst bis hin zu Ekel aus. Ähnliches kann bei Schwimm-
              bädern und Thermen festgestellt werden. Diese sind zudem stark durch das Schamge-
              fühl beeinflusst und werden dadurch entweder als positiv oder als negativ eingestuft.
             Resultierend daraus wird deutlich, wie Menschen Emotionen unterschiedlich verknüp-
             fen. Nur in den seltensten Fällen kann eine Emotion gefiltert werden – meistens werden
             Räume durch ein Mischverhältnis an Emotionen bestimmt. Neugierde ging (innerhalb
             der Versuchsreihe) immer einher mit der Emotion der Überraschung und wurde dann
             positiv mit Freude oder negativ mit Angst, Ärger oder Ekel verbunden. Vertrauen,
             Freude, Angst, Überraschung und Neugierde sind Emotionen, die sich im Innenraum
              am häufigsten wiederfinden. Diese konnten eindeutig und sehr schnell von den befrag-

                                                                                                                           AIT 6.2020  •  109
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