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„In den rauhen Bergen schlagen

                                    milde Herzen.“


                  Heinrich Federer (1866—1928), Schweizer Schriftsteller und Romancier




                vier Herren und vier Damen und reiste unter Cooks Leitung von Genf über Chamonix ins
                Wallis und ins Berner Oberland – einschließlich waghalsiger Kletter manöver, mehrstündi-
                ger Fußmärsche und abenteuerlicher Fahrten in klapprigen Karren auf schlechten Wegen
                –, um am Ende des Tages in einfache Gasthäuser mit überschaubarer Bettenanzahl
                einzukehren. Der Tourismus war geboren – und mit ihm das Be stre ben der Gastronomen,
                in den Folgejahren die Bedürfnisse der rasant wachsenden britischen Tourismus-Elite, die
                das Bergsteigen und Skifahren für sich entdeckte, zu bedienen. Heutige Grandhotels wie
                das „Montreux Palace“ oder das „Monte Rosa“ beher  bergten die ersten britischen
                Reisenden, die den Genfer See und das Matterhorn  für sich entdeckten: Edward
                Whymper, der 1865 als Erster auf dem Gipfel des Matterhorns stand, war Stammgast im  Liebevoll restauriert: Der Salon für größere Gesellschaften • Lovingly restored: the salon for larger groups
                „Monte Rosa“, der ältesten Herberge Zermatts. Ins „Grandhotel Giess bach“ im Berner
                Oberland, oberhalb des Brienzer Sees, kamen und kommen Reisende, um den impo -
                santen Giessbach-Wasserfall zu bestaunen, der direkt am Hotel 400 Meter in die Tiefe  geschrieben, war der Gast mehr König als hier. So wurden die Grand hotels zu bürger-
                stürzt. Seit 1879 läuft hier die älteste touristisch betriebene Standseilbahn Europas. Vom  lichen Palästen auf Zeit, in deren Salons und Lesesälen sich Prominente wie Thomas
                hoteleigenen Schiffsanleger bringt sie die Gäste die letzten 100 Meter hoch ins Hotel. Ende  Mann, Hermann Hesse, Albert Einstein und Friedrich Nietzsche aufhielten. Auf der Suche
                der 1970er-Jahre vom Abriss bedroht, gründete der Schweizer Umweltaktivist Franz Weber  nach Inspiration und Ruhe in der Abgeschiedenheit nächtigten viele von ihnen damals
                die Stiftung „Giessbach dem Schweizer volk“ und sammelte drei Millionen Fran ken, um  auch im "Waldhaus Sils". Seit 1908 im Besitz der gleichen Familie, thront es wie eine
                das Hotel zu retten, indem er Hotelaktien  verkaufte. Heute noch spenden en ga  gierte  Festung 1800 Meter über dem Meeresspiegel, umrahmt  von den imposanten
                Dauergäste Erbstücke aus der Zeit der Belle Époque — oft wertvolle Antiqui tä ten aus  Dreitausendern Piz Corvatsch und Piz Lagrev im Oberengadin. Fuhren Abenteurer und
                Familienbesitz. So mancher Stamm  gast kann hier in den eigenen Möbeln wohnen.   Alpinisten in das seit 1840 bestehende Grandhotel „Bellevue des Alpes“, um die Eiger-
                                                                              Nordwand zu bezwingen oder  von der hoteleigenen Terrasse anderen dabei zuzu -
                ... die Bühne für Künstler und Wissenschaftler der Belle Epoque  schauen, wurde die „Schatzalp“ in Davos 1901 als Luxussanatorium eröffnet. Sie galt als
                                                                              fortschrittlichste Tuberkulose-Heilstätte der Region und war mehr Hotel als Klinik, besucht
                Der wirtschaftliche Aufschwung, der Ausbau der Verkehrsnetze und sinkende Trans port -  von reichen und prominenten Zeitgenossen. Auch Katia Mann hatte hier 1912 einen län-
                kosten  um  die  Jahrhundertwende  führten  dazu,  dass  immer  mehr  Menschen  in  die  geren Aufenthalt. Sein Besuch bei ihr inspirierte Thomas Mann zu seinem Roman „Der
                Schweiz reisten. Die Belle Époque brachte neben den Pionieren der Wissenschaft noble  Zauberberg“, der die Schatzalp weltberühmt machen sollte. Als eines heute in der „Liste
                und betuchte Gäste, Literaten, Musiker und Künstler  von Rang  und Namen in  die  der Kulturgüter von nationaler Bedeutung im Kanton Graubünden“ geführtes Bauwerk
                Schweizer Grandhotels, die ihnen als luxuriöse Fluchtorte und Quellen der Inspiration  spiegelt der Kronenhof in Pontresina die typische Entwick lungs geschichte eines Gast -
                dienten: Nirgendwo sonst fanden sie eine ähnliche Dichte von Naturwundern und eine  hauses zum Grandhotel wider: 1848 kaufte Andreas Gredig das „Gasthaus Rössli“ für
                solch eindrückliche Landschaft, nirgendwo sonst wurde unaufdringliche Fürsorge größer  seinen Sohn Lorenz. Dieser richtete dort eine Weinhandlung für Veltliner ein und kaufte




                Seit 1889: Dreiflügelanlage mit Ehrenhof • Since 1889: three-winged ensemble with palatial forecourt   2007 wurde eine Wellnessanlage angebaut. • A wellness zone was added in 2007.
















                Fotos: Grandhotel Kronenhof, www.kronenhof.com













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