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ÖFFENTLICHE BAUTEN • PUBLIC BUILDINGS THEORIE • THEORY
Schülern und Schülerinnen freie Bewegung in den Innen- und Außenräumen zu ermöglichen, wurden
Stützen und Vorsprünge vermieden – eine besondere Herausforderung für die Tragwerksplanung, ins-
besondere für die weit überspannten Räume im Eingangsbereich. Wandartige Träger erlaubten es hier,
die gleichzeitig erforderlichen schlanken Deckenkonstruktionen beizubehalten.
Inklusive Lernumgebungen ermöglichen differenziertes Lernen
Die besonderen Anforderungen der vielfältigen Schülerschaft konnten vollumfänglich berücksichtigt
werden. Um differenziertes Lernen zu ermöglichen, sind die Räume so gestaltet, dass Lerngruppen fle-
xibel und ohne großen Aufwand zusammengesetzt werden können. Der erhöhte Bedarf an unterschied-
lichen Lehr-, Lern- und Hilfsmitteln – insbesondere bei Schülerinnen und Schülern mit Förderbedarf
– wurde durch großzügige Flächen und ausreichend Stauraum berücksichtigt. Da viele der Hilfsmittel
digital sind, wurde bei der technischen Ausstattung besonderer Wert auf eine ausreichende Zahl an
Steckdosen und Netzwerkanschlüssen pro Arbeitsplatz gelegt. Diese sind so angebracht, dass sie keine
Barrieren darstellen. Die Möblierung und Raumstruktur sind klar gegliedert, so dass Materialien gut
auffindbar und nutzbar sind. Die Räume wurden visuell reizarm gestaltet, um die Aufmerksamkeit
Lernatmosphäre: sehr hell und kontrastreich • Learning atmosphere: bright and rich in contrast gezielt auf den Unterricht zu lenken. Alle Regale sind mit Türen versehen, und das verbaute Holz ist frei
von ablenkenden Strukturen wie Astlöchern. Ein integrierter Stockständer gewährleistet eine sichere
Aufbewahrung der Langstöcke, ohne den Bewegungsfluss im Raum zu stören. Für die Mehrheit der
Schülerinnen und Schüler mit Mehrfachbehinderung, welche auf regelmäßige Positionswechsel ange-
wiesen ist, wurden ausreichend Bewegungsflächen geschaffen. Diese ermöglichen eine unkomplizierte
Integration in den Unterrichtsablauf. Auch der Bedarf an orthopädischen Hilfsmitteln wurde berücksich-
tigt: Es stehen geeignete, sicher erreichbare Abstellmöglichkeiten zur Verfügung, die keine Stolpergefahr
für blinde Schülerinnen und Schüler darstellen. Die Differenzierungsräume sind ideal zwischen je zwei
Klassenräumen positioniert und von beiden Seiten zugänglich. In Klassen mit Schülerinnen und Schü-
lern mit Mehrfachbehinderung sind diese Räume zusätzlich mit Küchen ausgestattet. So kann das Mit-
tagessen im Klassenzimmer eingenommen und in diesem Rahmen alltagspraktisches Lernen ermöglicht
werden. Der gesamte Planungsprozess lebte vom gegenseitigen Zuhören, dem tiefen Verständnis für die
vielfältigen Bedürfnisse – und der Bereitschaft aller Beteiligten, an den richtigen Stellen Kompromisse
einzugehen, um gemeinsam die bestmögliche Lösung zu schaffen. Das Ergebnis ist ein Schulhaus, das
modernes Lernen auf Augenhöhe ermöglicht, individuelle Bildungswege unterstützt, Selbstständigkeit
fördert und die aktive Mitgestaltung der Gesellschaft bereits im Schulalltag verankert.
Handläufe unterstützen bei Bedarf die Orientierung. • Handrails provide orientation support. N ikolauspflege was founded in 1856 by Crown Princess Olga of Württemberg as a “Nikolaus Care
Home for Blind Children”. The location at Kräherwald in Stuttgart has existed thus been in ope-
ration for almost 120 years now. In 1972, the boarding school for special needs was officially approved.
Integriert: Stockständer im Einbaumobiliar • Integrated: cane stand in the built-in furniture Today, the Betty-Hirsch-Schulzentrum comprises two special educational and counselling centres with a
boarding school for children who have visual impairments. Children and young people with blindness,
visual impairment, multiple disabilities and deaf blindness learn here. In 2011, a pilot project by the state
of Baden-Württemberg made it possible for them to learn together with children without disabilities. Par-
ticipation is a human right – not an act of charity. The UN Convention on the Rights of Persons with Disa-
bilities explicitly demands inclusion: people with disabilities belong in the middle of society from the
very outset – regardless of the nature and severity of their disability. The school centre aims to turn this
into reality. The growing demand, the lack of accessibility and the increasing number of students with
limited mobility made it necessary to develop a new concept for the traditional Nikolauspflege site at
Kräherwald. The students there are between six and around 20 years of age, depending on their course
of study. The school building is currently designed for 38 classrooms for around 230 students. However,
the resulting increase in space requirements should not be covered by additional functional areas alone.
Rather, economic and pedagogical considerations called for “intelligent solutions” to enable all rooms to
be used intensively, diversely and without barriers. In the interests of sustainable school construction,
particular emphasis was therefore placed on flexible learning spaces so that future pedagogical concepts
could also be implemented.
Complex requirements – customized interior design and architecture
The inclusive school building with a sports hall for blind, visually impaired, multiply disabled and
deafblind children, as well as for children without visual impairments, places special demands on archi-
tecture and design. The fundamental aspects of orientation and mobility form the basis of the entire
concept, so that all students – with and without visual impairments – can move around independently
and safely. For blind and visually impaired people, certain structural principles are indispensable: a clear
overall structure, rooms with four right-angled walls, no inward or outward projections, no free-standing
supports and no seating steps, for example, to prevent wheelchair users from falling. In addition, targe-
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