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Stefan Rappold
1966 geboren in Stuttgart 1985–1987 Schreinerlehre 1989–1995 Archi-
tekturstudium Universität Stuttgart 1991–1999 Mitarbeit in diversen
Architekturbüros 1999–2000 Behnisch & Partner, Stuttgart 2000–2010
Behnisch Architekten seit 2011 Partner bei Behnisch Architekten
Kommunikation und Übersichtlichkeit ... • Communication and clarity ... ... werden in der Schule groß geschrieben. • ... are writ large in the school.
von • by Stefan Rappold
S chule als reinen Ort der Wissensvermittlung zu betrachten, ist heute sicher nicht und die funktionalen Abhängigkeiten intensiv studiert. Wir haben analysiert und inter-
pretiert, ausprobiert und experimentiert, festgelegt und verworfen. Wir haben um die
mehr zeitgemäß. Das Lehren und Lernen – und damit eng verbunden die päda -
gogischen Konzepte – haben sich in den letzten Jahren rasant verändert und vielfältig eine angemessene, maßgeschneiderte Lösung gerungen, die alle Aspekte in das richtige
weiterentwickelt. Ganz unterschiedliche Lernformen finden den Weg in die Schulhäuser Verhältnis zueinander setzt. Das Ergebnis unserer Überlegungen skizzierte das Leitbild
und rufen räumliche Strukturen auf den Plan, die in traditionell angelegten Schulgebäu- eines offenen und kommunikativen Hauses, das die Gemeinschaft zwischen Schülern
den nur selten anzutreffen sind. Hier sind wir als Architekten gefragt, basierend auf den und Lehrern fördert und eine vielfältige Auswahl an „Lernorten“ bereithält. Uns
veränderten programmatischen und inhaltlichen Anforderungen an einen modernen schwebte die Idee eines angenehmen, vertrauensbildenden Ortes vor, der sich räumlich
Bildungsort, architektonische Konzepte neu zu denken. Das föderalistisch geprägte Bil- durchaus heterogen und differenziert zeigen darf, der Schüler inspiriert, aber nicht be-
dungswesen in Deutschland generiert zusätzliche Parameter. Regionale Eigenheiten und vormundet, und vielmehr den Paradigmenwechsel einer tradierten Lehranstalt hin zum
lokale Nuancierungen der jeweiligen pädagogischen Leitlinie wollen berücksichtigt wer- kreativen Bildungsort unterstützt. Von Bedeutung ist hier die materielle Ausgestaltung
den und runden das Spektrum an Variablen ab. Jede Planungsaufgabe ist somit indivi- und auch die haptische Vielfalt des Baukörpers sowie der Innenräume: Größe und Form
duell zu betrachten. Jeder Schulneubau ist maßgeschneidert zu entwickeln. Nur durch sollten einem menschlich angemessenen Maßstab entsprechen, um auf seine Nutzer po-
die Vermeidung von Bekanntem kann Neues entstehen, nur so kann der architektoni- sitiv zu wirken. Bereits zu Beginn der Projektarbeit konnten wir alle Beteiligten – Bauher-
sche Rahmen als gesellschaftlich relevantes Kulturgut aktiv in Pädagogik, Bildung, Er- ren, Pädagogen, Schüler und auch Elternvertreter – von unserem Konzept überzeugen.
ziehung und den schulischen Alltag miteinfließen. Nur so kann Schule ihre Wirkung mit Die gemeinschaftliche Arbeit hat sich bis zum Abschluss, der feierlichen Schlüsselüber-
nicht zu verkennender Bedeutung im architektonischen wie kulturellen Sinne entfalten. gabe, äußerst positiv entwickelt. Das bestehende Schulareal mit angegliederter Sport-
halle sowie der benachbarten Fleinsbachschule sollte architektonisch aufgewertet wer-
Intensive Suche nach der einen, maßgeschneiderten Lösung den: Die Aufgabenstellung sah einen Neubau für eine zweizügige Grund- und Gemein-
schaftsschule, die Gotthard-Müller-Schule vor – und damit den Abriss des Bestands –, um
Die neue Schule in Bernhausen zeigt exemplarisch, wie sich durch das glückliche Zu- die Anforderungen des neuen pädagogischen Konzeptes mit Ganztagesbetrieb umsetzen
sammenspiel verschiedener Parameter Individualität entwickeln lässt und ortsspezifi- zu können. Erweiterungsflächen für die angrenzende Realschule sollten ebenso integriert
sche Identität herausgebildet werden kann – vorausgesetzt, wir Planer betrachten die werden wie eine gemeinschaftlich zu nutzende Mensa und die Einbindung in einen ge-
Vielfalt der formulierten Wünsche und Bedürfnisse unvoreingenommen und lassen uns meinsamen Schulcampus. Unter einem Dach haben wir somit Räumlichkeiten für zwei
auf einen facettenreichen und ergebnisoffenen Dialog ein. So haben wir zu Beginn der unterschiedliche Schulformen, die der Grund- und Gemeinschaftsschule, geschaffen.
Wettbewerbsbearbeitung sämtliche Faktoren, wie das Grundstück, die umgebenden Das heißt, wir mussten einen Weg finden, Gemeinsames zu betonen und gleichzeitig
Schulgebäude, den städtebaulichen Kontext, die Beschreibung des Raumprogramms „Ordnendes“ integrieren, um das Gebäude sinnvoll zu gliedern. Zentraler Anlaufpunkt
AIT 5.2021 • 105