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Victoria zu Bentheim und Steinfurt
1887 geboren 1913 Architekturstudium TH Berlin 1915 Vordiplom und erste Planungen 1919 Dip lom und Aufnahme
Architektenverein Berlin 1919 Rückkehr nach Burgsteinfurt und Einrichtung des Fürstlich Bent hei mischen Bau -
amtes 1923 Bau von Gutshöfen 1935 Umzug nach Mittenwald 1944 Flucht nach Gaildorf 1961 gestorben
Abbildungen: Fürstlich Bentheimsches Archiv Burgsteinfurt
Aus dem Skizzenbuch von Victoria zu Bentheim: Stuhlentwurf, Bisping-Hof und Holländisches Viertel in Potsdam • From Viktoria zu Bentheim’s sketchbook: chair design, Bisping estate and Dutch Quarter in Potsdam
von • by Dr. Karl Kiem
E in Gemälde in der Burg Bentheim zeigt die neunzehnjährige Victoria Prinzessin zu kem“ und eine in neugotischem sowie ein Rathaus im Renaissancestil. Nicht nur im Hin -
blick auf ihre spätere souveräne Beherrschung des Gegenstandes, sondern auch wegen
Bentheim und Steinfurt in der Mitte zwischen ihrer um ein Jahr älteren Schwester
Elisabeth und ihrem erheblich jüngeren Bruder Friedrich als ausgesprochene Schönheit des ausgedehnten Landbesitzes ihrer adligen Familie darf davon ausgegangen werden,
mit einer von Selbstzweifeln weitgehend unberührten und vornehmen Ausstrahlung. dass sie sich schon damals näher für die Fächer „Ländliche Baukunst“ und „Landwirt -
Dass diese wie aus dem Bilderbuch stammende Prinzessin sich eines Tages auf haupt- schaft liche Baukunde“ interessiert hat, die von dem Architekten Karl Caesar gelehrt wur-
sächlich bürgerlich beherrschtes Terrain begeben und dem Beruf einer Architektin nach- den. Darüber hinaus dürften der Studentin in Berlin die neuesten Tendenzen in der Archi -
gehen würde, war ihr augenscheinlich nicht in die Wiege gelegt. Victoria Prinzessin zu tektur mit der Rückbesinnung auf die schlichte Architektur der Zeit um 1800 nicht ganz
Bentheim und Steinfurt hatte weder ein Interesse, den Erwartungen ihres Standes zu ent- ver borgen geblieben sein, zumal ihre Mentorin und lebenslange Freundin, die Architektin
sprechen, über Vermählung und Nachkommen die dynastischen Verknüpfungen ihrer Elisa beth von Knobelsdorff (1877–1959), in Berlin im Büro Mebes & Emmerich bei einem
Familie zu festigen, noch wollte sie im Tantenflügel des familiären Schlosses versauern. Prota go nisten dieser Bauformen gearbeitet hat. Diesen ist Victoria zu Bentheim ein Leben
Victoria zu Bentheim und Steinfurt (1887–1961) hatte als Prinzessin die privilegierte Kind - lang treu geblieben.
heit und Jugend einer Angehörigen des deutschen Hochadels genossen. Sie war in jungen
Jahren viel unterwegs: kleinere Tagesausflüge, mehrtägige Reitwanderungen und Kutsch - Solide Basis in künstlerischer und technischer Hinsicht
fahrten, darüber hinaus größere Reisen zu den Schlössern der adligen Verwandten, unter
anderem zu den Königinnen Emma der Niederlande und Sophia von Schweden. Der Die technischen Fächer wurden hauptsächlich von den Vertretern der Fakultät für Bau -
Schulunterricht erfolgte durch Hauslehrer. Damit konnte die Schülerin 1912 als Exter ne an ingenieurwesen gelehrt und waren ingenieurwissenschaftlich anspruchsvoll. Ihr Auf ga -
der Oberrealschule von Hamm die Hochschulreife erlangen. Soweit alles standesgemäß. ben heft im Fach Statik zeigt, dass die Prinzessin auch ein schwieriges technisches Fach
souverän beherrschen konnte. Das 1914 begonnene Skizzen buch der Studentin lässt ferner
Studium mit Ausnahmegenehmigung des Kaisers ein großes Können im Freihandzeichnen erkennen. So erhielt sie eine Ausbildung, die
zwar nicht dem allerneuesten Stand der architektonischen Formen spra che entsprach, ihr
Eine wichtige Rolle für das Interesse jenseits des traditionellen Tätigkeitsfeldes des Adels aber eine umfassende und solide Basis in künstlerischer und technischer Hinsicht für eine
haben nach ihren eigenen Angaben neben den genannten größeren Reisen auch die Ein - erfolg reiche Berufstätigkeit verschaffte. Das Architektur studium von Victoria Prinzes sin zu
drücke der Restaurierung der Burg Bentheim gespielt, die ab 1883 bis 1914 im neugoti- Bentheim und Steinfurt hatte kriegsbedingt zwei einjährige Unter bre chungen erfahren.
schen Stil erfolgte. Die Aufnahme des Architekturstudiums an der Königlichen Techni - Nach dem Vordiplom plante sie auf dem Truppen übungsplatz Dö be ritz beim Militär-
schen Hochschule zu Berlin konnte aber nicht unmittelbar erfolgen, denn als Frau benö - Neubauamt ab August 1915 hauptsächlich Stallungen, Baracken und einen Friedhof. Im
tig te man dafür laut der damals geltenden Studienordnung eine Ausnahmegenehmigung besetzten Norden Frankreichs war sie ab Mitte August 1917 bis Kriegs ende mit Bauauf -
des preußischen Kultusministers. Dieser wurde durch eine der beiden genannten regie - nahmen und Dokumentationen von Baudenkmalen be schäf tigt, die durch die Kriegs -
ren den Königinnen mit einem Brief an Kaiser Wilhelm II., mit dem man verwandt war, handlungen beschädigt und zerstört waren. Bei beiden Ein sät zen arbeitete sie mit Elisa -
nachgeholfen. So konnte sich Victoria Prinzessin zu Bentheim und Steinfurt am 18. April beth von Knobelsdorff zusammen. Dieses Engagement der beiden Adligen darf mit ihrem
1913 als eine der ersten Frauen an der Technischen Hochschule für ein Studium der Archi - Stand in Verbindung gebracht werden, zu dessen traditio nel len Berufs feldern das Militär
tektur immatrikulieren. In die Reichshauptstadt war Victoria zusammen mit ihrer Schwe - gehört. Es ist sicher kein Zufall, dass sich damals Architek tinnen aus bürgerlichem Milieu
s ter Elisabeth gegangen, der sie seit ihrer Kindheit eng verbunden war und die ein Stu - – wie unter anderem Lotte Cohn, Gertrud Ferch land, Marie Frommer, Grete Wettke – wäh-
dium der Malerei aufnahm. Das Architekturstudium an der dortigen Königlichen Techni - rend des Ersten Weltkrieges nicht direkt beim Militär engagierten, sondern beim Wieder -
schen Hochschule erfolgte in der hier relevanten Zeit hauptsächlich im Geist des späten aufbau in Ostpreußen. Die Diplom urkunde von Victoria Prinzessin zu Bentheim und
Historismus. So zeigen die bei Hugo Hartung angefertigten Entwürfe eine Kirche in „anti- Steinfurt stammt vom 12. Februar 1919. Drei Tage später beantragte sie die Aufnahme beim
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