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Entwurf • Design Jung Architectures, FR-Paris
Bauherr • Client BETC
Standort • Location 1 rue de l'Ancien Canal, FR-Pantin
Nutzfläche • Floor space 18.500 m 2
Fotos • Photos Hervé Abbadie, FR-Paris
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Die Kuben mit Lichtdecke fördern konzentriertes Arbeiten. • The cubes facilitate concentrated working. Weiche Materialien kontrastieren zu rohem Beton. • Soft materials contrast with the rough concrete.
von • by Marlene Asenbeck
D en Pariser Banlieues eilt ein schlechter Ruf voraus. Die Außenwahrnehmung ist und begrünten Dachgarten zur Geltung. Dieser eignet sich für Pausen oder für in for -
melle Be sprech un gen mit Blick über die Stadt – umfangen von der eindrucksvollen
vor allem von der in einigen der Vororte vorherrschenden Kriminalität, Arbeits -
losig keit und Armut der vorwiegend migrantischen Bewohner geprägt. Dieses Bild Beton pergola. Zwei neue Innenhöfe bringen Tageslicht in das Gebäude innere und set-
könnte sich allerdings schon bald ändern und die Stadt Pantin nimmt dabei eine Art zen mit einer Lärchenholz-Ver kleidung einen warmen Kontrast zum kühlen und rohen
Vorreiter-Rolle ein. Im Nordosten von Paris gelegen, ist die Architekturlandschaft die- Beton. Außerdem bieten sie zugleich eine mögliche Erweiterung der Arbeitsbereiche.
ser Stadt typischerweise von Hochhaussiedlungen in Plattenbauweise bestimmt. Sie
entstanden in den 1960er-Jahren als Folge des wirtschaftlichen Aufschwungs in Neue Lösungen für abwechslungsreiche Arbeitsumgebung
Frankreich. Die Gebäude am Canal de L’Ourcq entstammen allerdings einer anderen
Zeit: Sie zeugen von der Bedeutung des ehemaligen Schifffahrts kanals für den Güter - Das Spiel mit Kontrasten zur bestehenden Bausubstanz setzt sich auch im Innenraum
transport Anfang des 20. Jahrhunderts. So auch die als Ikone der Industrialisierung fort. Hier kommen vor allem natürliche und warme Materialien wie Filz, Stoff und
erhaltenen Les Magasins Généraux. Zwischen 1929 und 1931 errichtet, diente der Holz zum Einsatz. Das maßgeblich an der Innenraumgestaltung beteiligte Designbüro
Stahl beton bau bis zu seiner Schließung im Jahre 2000 vor allem der Lage rung von T&P Work Unit lud ambitionierte Jungdesigner dazu ein, maßgefertigte Möbel und
Getreide und Mehl sowie als Zollamt. Zwischen zeitlich von der lokalen Streetart- Raumsituationen zu entwickeln, die unterschiedliches Arbeiten – sei es allein oder in
Szene als Fläche für künstlerische Entfaltung genutzt, erfuhr er – wie auch andere Gruppen – ermöglichen. Das Ergebnis: Die offen gestaltete Bürolandschaft strotzt nur
Industrie denk mäler am Canal de L’Ourcq – schließlich eine Um nutzung im Zuge der so vor Ideen. So können die Angestellten für gemeinschaftliches Arbeiten in kleinen
Greater-Paris-Stra tegie. Derzufolge die Banlieues durch die Aufwertung der vorhande- Gruppen beispielsweise auf einem gestuften monolithischen Block eine erhöhte
nen Bausubstanz in ein neues Zu hause mit kreativem Potenzial, Innovation und wirt- Sitzposition einnehmen oder an einer der langen Tischreihen Besprechungen mit bis
schaftlichen Wachs tum ver wandelt werden sollen. Mit dem Umbau und der Sanierung zu 20 Personen abhalten. Für konzentriertes Arbeiten oder einen ruhigen Bespre -
des ehemaligen Korn speichers betraute der neue Inhaber BETC das Architekturbüro chungs rahmen stehen in den Raum eingestellte, vollständig geschlossene Kuben mit
Jung Architectures. Das Gebäude sollte nicht nur neuer Hauptsitz der Marketing - Lichtdecke zur Verfügungen. Durch Seile – die mit ihrer Samtigkeit an Chenillegarn
agentur, sondern zugleich ein Ort der Inspiration, gemeinschaftlichen Experimen - erinnern – abgetrennte runde Kojen bieten wiederum Einzelarbeitsplätze für zurück-
tierens und Treffpunkt kreativer Köpfe werden. Ziel der Sanierungs- und gezogenes Arbeiten. Künstlerisch vollständig ausleben können sich die Mitarbeiter in
Umbaumaßnahme war es, die Ansprüche und Bedürfnisse der zukünftigen Nutzer mit der sogenannten Le Garage: ein Bereich im Ge bäu de, in dem Filme, Musik und Design
den vorhandenen Gebäudestrukturen zu vereinen und somit den rauen und dennoch produziert werden können. Im Café Le Kartz und dem Restaurant La Cantine werden
charmanten Industriecharakter des Gebäudes sowie seine Funktion als Landmarke biologische Speisen für die Pause zwischendurch angeboten. Aber das Gebäude bie-
am Canal de L’Ourcq zu erhalten. Die mit Ziegel steinen ausgemauerte Beton raster - tet nicht nur den 900 Mitarbeitern der BETC Platz für abwechslungsreiches Arbeiten,
fassade wurde von den Graffiti kunstwerken gerei nigt und restauriert. Genauso wurde das Erdgeschoss ist vollständig für die Öf fent lichkeit zugänglich, so profitieren auch
mit den Bal konen verfahren, deren expressiv-geschwungene Form den zur Bauzeit die Anwohner von der Umnutzung des Gebäudes. Für sie eröffnet sich beispielsweise
vorherrschenden Art- déco-Ein flüssen geschuldet ist. Sie sind maßgeblich für die die Möglichkeit, an Workshops im La Grande Salle teilzunehmen, sich mit anderen
imposante Erschei nung des Gebäudes verantwortlich. Saniert wurden auch alle Be - Kreativen zu vernetzen, im Restaurant zu speisen oder im Konzert- und Veranstal-
ton träger und Stützen, ihre Dimensionen kommen besonders in dem neu angelegten tungsbereich Livemusik zu genießen.
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