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Redings Essay
WER WAR IRENE
VON TIBUS?
Ein Essay von Dominik Reding
M an wischt ja nicht so gerne Staub. Ich auch nicht. Schon gar nicht auf dem Bü - Pano ra mafensters im Chefzimmer. Davor, in der Unschärfe, eine Platzanlage mit
cher regal. Da muss ich mich auf einen Stuhl stellen und dann auf den Zehen -
Spring brunnen und Kirche. Sieht nach Großstadt aus. Könnte Köln sein. Bingo!
spit zen ba lan cieren und dann noch ganz weit strecken. Da wische ich nur alle zwei, Mensch, da war ich schon mal, das ist die alte Gerling-Hauptverwaltung. Über das
drei Jahre. Oder ist es doch schon länger her? Vor ein paar Tagen stelle ich mich also Haus kursierten die tollsten Gerüchte. Der Versicherungspatriarch Hans Gerling höchst -
auf den Stuhl, dann auf die Zehenspitzen und recke mich. Rumms! Etwas fällt mir ent- selbst ha be alles entworfen. Als Nachbau einer italienischen Kleinstadt. Oder gar der
gegen. Ein Buch, reichlich eingestaubt natürlich: „Irene von Tibus. Interieurs.“ Schön Lieblingsbildhauer des „Führers“ Arno Breker. Als Nachbau der Reichskanzlei. Im Ar -
buntes Cover, 1960er-Jahre-Büroausstattung mit Linoleumboden und Polyestersitzen. chi tekturstudium schauderten und staun ten wir über das Gebäudeensemble am Rand
Ach, lag das damals nicht in der Uni-Bibliothek in der Bücherkiste „Zum der Kölner Innenstadt. Schauderten über diesen Ober flächenkult aus Marmor, Mu -
Mitnehmen“? Ich puste den Staub vom De ckel, blättere durch die Seiten. Ziemlich schel kalk, Sandstein, Granit, Trachyt, Dolomit, diese hybride Ansammlung von Achsen,
aufwendig ge macht. Verschiedene Papiersorten, Farbfotos, Leineneinband mit Symmetrien, Portalen und Ehrenhöfen, diesen Horror Vacui, der keinen Fassaden -
Prägedruck. Bilder von Wirtschaftswunder-Büroräumen. Nein, eher die Chefetagen, zentimeter unbearbeitet lässt. Und staunten über die Sorgfalt der Details, den souverä-
Konferenzsäle, Em pfangs zimmer und Eingangshallen. Sogar eine Bar ist darunter: nen Umgang mit mächtigen Volumen, den sichtbaren Willen, eine Stadt in der Stadt
Modern-adrett mit einem seltsamen Hang zum zu schaffen. Zu gerne hätten wir auch die Innen -
Monumentalen. Le der bespannte Wände, gold - architektur betrachtet, aber die haushohen Ein -
glänzende Tischbe i ne, Edelholzfurniere, Mar - gangsportale wirkten so abweisend, wir wagten
mor böden, Go be lins. Ein Hauch von Hollywood nicht einmal den Versuch.
weht durch die Raum fluchten. Und von Wer war Irene von Tibus? Ich frage das Amt für
Generaldirektors Wohn zim mer. Dazu ein Denkmalschutz und Denkmalpflege der Stadt
Begleittext, dreisprachig: „Die Bar ge hört auf Köln: Und bekomme die PDF-Datei des 105-seiti-
den Hauptarbeitsweg und doch darf sie bei gen Buches „Bauten des Gerling-Konzerns“ der
Beginn der Festivität diesen Weg nicht stö ren. ehemaligen Stadtkonservatorin Hilt rud Kier zuge-
Sie folgt als Spielbein auf das Standbein des mailt. Darin wird Frau Tibus mit keinem Wort
Kalten Büffets.“ Und: „Hervor ra gende Innen aus - erwähnt, aber Herr Gerling und Herr Breker. Die
stattung hält sich an die Mess marke von Smo - hätten, der eine vom anderen assis tiert, die
king und Cocktailkleid, muss aber Frack und Konzernzentrale entworfen. Also doch Arno
große Robe ebenso rechnen, wie bei Gele gen - Breker, des Führers Muskel-Modelleur? Es gibt
hei ten den Strassenanzug.“ Irene von Tibus Menschen, die sammeln Breker-Kunst. Und die
muss zu den meistbeschäftigten In nen architek - werden wissen, ob und was er gebaut hat. Ich
tin nen ih rer Generation gehört ha ben. Das Buch nehme Kontakt auf. Es gestaltet sich schwierig.
nennt Projekte in Köln, München, Düsseldorf, Mails gehen hin und her. Die Angst der Breker-
Mann heim, Hamburg, Wien und Toronto, zeigt Foto: Dominik und Benjamin Reding Gralshüter vor Nestbeschmutzung. Des halb hier
Direk tions zimmer größer als Ballsäle und Kasi - nur soviel: Irene von Tibus? Nein, alles von
nos in Schwimm bad-Maßen. Was mag aus ihr, Breker in der Gerling-Hauptver waltung. Vom
was mag aus ihren Kreationen geworden sein? Klin gelknopf bis zum Treppen geländer. Mir wird
Ich suche im Internet und finde: Nichts. Wie? Nichts? Über jeden Dschungel camp- die Sache unheimlich. Hat Irene von Tibus überhaupt gelebt? Vielleicht ruht ein Fluch auf
Teilnehmer werden ganze Enzyklopädien ins Netz ge stellt und über eine erfolgreiche dem Buch, versteckt sich zwischen den bunten Büro-Bildern ein düsteres Geheimnis, an
Innenarchitektin der Wiederaufbau jahre keine Zeile? dem man besser nicht rührt. Es sei denn, man möchte enden wie Howard Carter nach
Ich nehme mir das Buch noch mal vor. Es gibt sich zugeknöpft. Keine Büroadresse von Öffnung des Grabes von Tutanchamun. Ich blättere noch einmal durch die Seiten,
Frau Tibus, kein Hinweis auf Auftraggeber, nur vage Angaben zu Ort und Funktion der schmunzle über die leder bespannten Direktionszimmer und Bartresen in Zebrano-Holz
Architekturen. Hinter dem Schutzumschlag klemmt noch die Verlagsan kündigung, der einst so erfolgreichen und heute so unbekannten Frau von Tibus und packe das Buch
datiert „Weihnachten 1960“: „Interieurs. Herausgegeben von Irene von Tibus. 22 x 30,5 zurück in den Schrank. In eins der tieferen, nicht so leicht zugänglichen Regalfächer.
cm, Leinen, 32.50 DM, Verlag Kiepenheuer & Witsch.“ Da ne ben, vielleicht nicht ganz Vor zwei Tagen klingelt bei mir im Büro das Telefon. Eine freundliche Stimme mit
zufällig, ein Hinweis auf die Neuerscheinung „Die Doppel rolle der Frau in Fa milie und rheini schem Klang: „Irene von Tibus hat es nie gegeben.“ Ich schlucke. „Aber Irene
Beruf.“ Ich maile dem Verlag und erhalte verwirrende Antwort. Nein, das Buch wäre Gerling, das war meine Mutter. Und ich bin Brita Gerling, ihre Tochter.“ Und Irene von
im Gesamtverzeichnis des Verlages seit 1949 nicht auffindbar, eine Frau Tibus Tibus? „War ihr Pseudonym als Innenarchitektin. Sie hat das alles entworfen, die
unbekannt. Hm ... gibt das Buch vielleicht versteckte Hinweise? In Spiegelschrift oder komplette Ausstattung der Gerling-Bauten.“ Und das Buch? „War nicht für den Han -
Geheimtinte oder über in die Fotos montierte Symbole oder ... mit einem Wap pen auf del, das war für die Mitarbeiter gedacht, als Geschenk.“ Gibt es die Räume aus dem
einer Glastür! „Büro der Konzernleitung“, lautet die Bildunterschrift. Könn te das Wap - Buch noch? „Nein, die alte Gerling-Zentrale wird gerade zu Wohnungen umgebaut,
pen des Bun deslandes Nordrhein-Westfalen sein. Auf der nächsten Seite ein Foto des das meiste ist verloren. Schade eigentlich, oder?“
052 • AIT 4.2016