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                                                                                                          Fragen an
                                                                                                          Anne Prestel
                                                                                                          Innenarchitektin
                                                                                                          bdia Bayern
                                                                                                          Wie geht nachhaltige
               Titelbild: Revitalisierung Reihenhaus in München, Büro: Anne Prestel – Innenarchitektur, München. Foto: Stefan Müller-Naumann; Portrait: Oliver Schiebener, Foto Anne Prestel: Stefan Müller-Naumann, München
                                                                                                          Innenarchitektur?
                        Auf der bdia-Bundesmitgliederversammlung am 30. November 2019                     Nachhaltige Innenarchitektur ist
                                                                                                          gewährleistet, wenn man - statt
                        diskutierten die teilnehmenden Mitglieder engagiert, konstruktiv und              vorschnellem Abbruch - Wertbe-
                        sachorientiert zu aktuellen berufspolitischen Themen und verab-                   ständiges aufgreift und intelli-
                        schiedeten auch die Weimarer Erklärung  „Mehr Bauen im Bestand –                  gent weiterverwertet unter
                                                                                                          Integration von sinnvoll Neuem.
                        mit Innenarchitekten!“                                                            Sie erfordert den bewussten
                        Nachhaltiges Bauen ist mehr denn je Gebot der Stunde und die Wei-                 Einsatz ressourcenschonender
                        marer Erklärung ein Appell für mehr Klimaschutz beim Bau.                         Materialien und vor allem eine
                                                                                                          sensible, möglichst zeitlose
                                                                                                          Raum- und Lichtgestaltung.

                                                                                                          Welchen Anteil hat eine gute
                                                                                                          Planung?
                        Mehr Bauen im Bestand –                tar zu begrenzen. 2017 wurde täglich eine Flä-  Um nachhaltig zu gestalten, ist
                        mit Innenarchitekten!                  che von rund 58 Hektar neu ausgewiesen, das  es wichtig, den Bedarf in jeder
                                                               entspricht der Größe von 82 Fußballfeldern.  Hinsicht möglichst detailliert zu
                        Für den Klimaschutz hat der Bau im Bestand  Die im Gebäudebestand gebundene „Graue  kennen, Eventualitäten rechtzei-
                        eine hohe Bedeutung, und hier sind Innenar-  Energie“, die sich aus dem verbauten Material  tig mit einzubinden und somit
                        chi-tektinnen und Innenarchitekten die Exper-  und den mit dem Bau verbundenen Transpor-  Flexibilität zu gewährleisten. Ziel
                        ten: intelligente Umnutzungen und Revi tali-  ten  zusammensetzt,  kann  durch  klimage-  ist ein ansprechender Raum, in
                        sierungen, Erweiterungen und Aufstockungen,  rechte  Anpassungen  an  die  Anforderungen  dem alle Funktionen über einen
                        nutzerspezifische Raumorganisationen und die  der Nutzer effizient und nachhaltig genutzt  langen Zeitraum in einer ästheti-
                        Beziehung von Räumen untereinander. Gute  werden.                                 schen Art abspielbar sind. Dann
                        Planung ist ein essenzieller Beitrag zu nachhal-                                  hat man nachhaltig, sparsam
                        tigem Bauen. Regionale Produktkreisläufe und  Der  Neubau  von  Gebäuden  erfordert  hohe  und feinsinnig gebaut.
                        die Verhältnismäßigkeit der eingesetzten Ma-  Energie- und Stoffmengen
                        terialien zu beachten gehört zur Kernkompe-                                       Umbau und Revitalisierung -
                        tenz  der  Innenarchitekten.  Mit  dem  Pariser  Bei der Errichtung von Neubauten müssen für  ist das nicht oft genau so
                        Klimaschutzabkommen hat sich Deutschland  die Konstruktion des Rohbaus hohe Energie-  teuer wie Neubau?
                        verpflichtet, bis 2050 die Treibhausgasneutra-  und  Stoffmengen  aufgewendet  werden.  Mit  Wenn man die Kosten verkürzt
                        lität  zu  erreichen  –  allein  hierzulande  bean-  diesem Aufwand sind die Verursachung und  auf die Baumeisterarbeiten,
                        sprucht  die  gebaute  Umwelt  jährlich  über   Emission von Treibhausgasen und die daraus  dann kann das gut so sein; inso-
                        50 Prozent der verbrauchten Ressourcen und  resultierenden negativen Auswirkungen auf die  weit ist bei jedem Projekt zu ent-
                        erzeugt über 50 Prozent des Abfalls.   Umwelt  verbunden.  Dies  gilt  gerade  dann,  scheiden, was Sinn macht.
                                                               wenn der Rohbau aus Beton ist.             Angesicht der Klimakrise greift
                        Innenarchitekt*innen  sind  Spezialisten  für                                     eine so fokussierte Berechnung
                        den Bau im Bestand                     Nach Angaben des World Wide Fund For Na-   aber sicher zu kurz, da viele un-
                                                               ture (WWF) ist allein schon die Herstellung von  sere Umwelt belastenden Kosten
                        Innenarchitektinnen und Innenarchitekten sind  Zement, der ein wesentlicher Bestandteil von  bis zu den CO -Emmissionen
                                                                                                                    2
                        spezialisierte Gestalter und Planer für Innen-  Beton ist, für zwei Prozent aller CO -Emissio-  nicht eingehen. Eine Revitalisie-
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                        räume. Nachverdichtung in den Städten, die  nen in Deutschland verantwortlich. Weltweit  rung macht dann Sinn, wenn ein
                        Revitalisierung und Umnutzung leerstehender  sind es laut WWF sogar acht Prozent. Hinzu  Objekt erhaltenswert ist und
                        Gebäude im ländlichen Raum oder auch der  kommen die Umweltschäden durch den hohen  eine Seele hat, die man weiterle-
                        Trend hin zu Micro Living und Shared Spaces  Verbrauch von Sand und Kies, die oft in sensi-  ben lassen kann.
                        sowie die fachgerechte energetische Sanierung  blen  Naturgebieten  abgebaut  werden:  Der
                        und Beachtung der Energieeinspa rver- ordnung  Abbau hat sich nach der UN-Umweltorganisa-
                        erfordern  Expertise  – Innenarchi-tekt*innen  tion UNEP in den letzten 20 Jahren verdreifacht
                        sind die richtigen Ansprechpartner als Exper-  und führt langfristig zu Änderungen der Öko-
                        tinnen und Experten für den Bau im Bestand.   systeme und zu Überschwemmungen.

                        Weniger Ressourcen verbrauchen         Die  klima-  und  umweltschonende  Planung
                                                               und  Umsetzung  von  Bauprojekten  ist  eine
                        Bauen im Bestand bedeutet eine Reduktion  Aufgabe, die alle am Planungs- und Baupro-
                        des  Flächenverbrauchs.  Die  Politik  hat  sich  zess Beteiligten betrifft. Nehmen wir diese
                        zum Ziel gesetzt, die Fläche, die pro Tag zum  Verantwortung als Innenarchitekt*innen und
                        Bauen freigegeben wird, bis 2020 auf 30 Hek-  Planer*innen fächerübergreifend wahr!

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