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WOHNEN  •  LIVING THEORIE • THEORY

                                                        oder auf den Felsen unterhalb des Hauses posieren. Die karge Umgebung, das Meer als Hintergrund und die bewusst
                                                        gewählten Posen erinnern mitunter entfernt an die antikisierenden, homoerotischen Akte, die den deutschen Foto -
                                                        grafen Wilhelm von Gloe den Ende des 19. Jahrhunderts berühmt machten. Zugleich sind die Bilder aus dem Gästebuch
                                                        ein klarer Hinweis darauf, dass das Paar an der Côte d'Azur engen freundschaftlichen Kontakt auch zu anderen Homo -
                                                        sexuellen pflegte und das abgelegene Küsten haus gern für diesen Freundeskreis öffnete. Zu Hause fühlten sich Dierks
                                                        und Sawyer in den 1920er- und 1930er-Jahren aber nicht nur in ihrem privaten Refugium am Pointe de l´Esquillon, son-
                                                        dern auch in den feinen Bars, Restaurants und Hotels an der Croisette in Cannes. Es waren hauptsächlich Amerikaner
                                                        und Briten, die damals die Côte d'Azur bevölkerten. Viele der Männer hatten nur wenige Jahre zuvor im Ersten
                                                        Weltkrieg in Frankreich gekämpft, sich in das Land verliebt und kamen nun mit ihren Familien und Freunden zurück
                                                        – manche nur für ein paar Wochen im Jahr, manche – wie Dierks und Sawyer – blieben für immer. Sie hauchten der
                                                        französischen Riviera nach dem Krieg neues Leben ein. Sie brachten den Jazz mit, die schnellen Sportwagen und die
                                                        kurzen Sommerkleider – kurz: sie brachten ein neues, modernes Lebensgefühl an das Mittelmeer. Wo früher der
               Drei Dutzend Stufen führen von ... • Three dozen steps lead from ...   europäische Hochadel in den Sommermonaten unter sich war, feierte nun die Jeunesse dorée des amerikanischen
                                                        Wirtschaftsbooms der 1920er-Jahre ihr Stelldichein –  junge Künstler und Intellektuelle, mondäne  Abenteurer und
               ... der Straße zum Haus hinab. • ... the street down to the house.
                                                        Jetsetter. Die Côte d'Azur war dankbar für diese neue Klientel – zumal seit der Oktoberrevolution von 1917 auch die
                                                        zahlungs kräftige russische Oberschicht, die vor dem Ersten Weltkrieg noch wesentlich das Gesicht der Riviera prägte,
                                                        ausblieb. Dierks als Amerikaner und Sawyer als Brite, obendrein aus gutem Hause, erwiesen sich in diesem sozialen
                                                        Umfeld schnell als charmante Gesellschafter und gern gesehene Gäste auf Partys und privaten Abend gesellschaften.
                                                        Und natürlich nutzte Dierks diese Möglichkeiten auch zur Akquise neuer Aufträge. Dabei kam dem Architekten zu gute,
                                                        dass er keine festen architektonischen Überzeugungen besaß, sondern sich jederzeit den Wün schen und Vorstellungen
                                                        seiner Bauherren anpassen konnte. Der halbmoderne Stil von Le Trident, den Dierks ge schickt mit historischen An -
                                                        leihen und Versatzstücken aus der provenzalisch-mediterranen Architektur zu bereichern wusste, wurde sein Marken -
                                                        zeichen. Dabei beherrschte der Architekt ein erstaunlich breites Repertoire, je nachdem wieweit seine Bauherren be-
                                                        reit waren, sich der Moderne zu öffnen – oder eben auch nicht. In dieser Unentschlossenheit liegt vielleicht auch ein
                                                        Grund dafür, dass Dierks´ Bauten nie die Aufmerksamkeit erfahren haben, wie sie etwa Robert Mallet-Stevens´ Villa
                                                        Noailles in Hyères oder Eileen Grays Maison en Bord de Mer in Roquebrune-Cap-Martin, die zeit lich parallel zu Le
                                                        Trident an der Côte d'Azur entstanden, noch heute genießen. Aber auch wenn Dierks´ Bauten die kompromisslose,
                                                        avantgardistische Strahlkraft der Häuser von Mallet-Stevens und Gray fehlt, so darf doch nicht übersehen werden, dass
                                                        Dierks mit seinem moderaten und komfortbetonten Modernismus die Architektur der Riviera mehr als jeder andere
                                                        Architekt seiner Zeit prägte und schnell eine Reihe von Schülern und Nachahmern fand.
               Alte Fotos gewähren einen Blick ... • Old photographs grant an insight...
                                                        Nur die Sonne war Zeuge: Le Trident erlaubte seinen Bewohnern ein ungestörtes Dasein

                                                        Das Eklektische seines Stils und sein Talent für freie Kompositionen lässt sich nicht zuletzt auf Dierks´ Zeit an der Pariser
                                                        École des Beaux-Arts zurückführen, wohin er 1921 ging, nachdem er bereits sein Architektur-Diplom am Carnegie Ins ti -
                                                        tute of Technology in Pittsburgh, seiner Heimatstadt, erworben hatte. Angelegt war das Pariser Studium auf zwei Jahre.
                                                        Danach, so war es ursprünglich geplant, wollte Dierks zurück nach Amerika gehen. Der Plan ändert sich aller dings, als
                                                        Sawyer in sein Leben trat. Der 1889 geborene Spross einer wohlhabenden und einflussreichen englischen Familie hatte
                                                        während des Ersten Weltkriegs als Offizier in Frankreich gedient und blieb nach 1918 im Land, dessen to lerantes und
                                                        weltoffenes Klima er gerade im Gegensatz zu der engstirnigen Atmosphäre seiner britischen Oberschicht-Herkunft zu
                                                        schätzen wusste. In Paris lebte er in einem vornehmen Apartment am Boulevard des Italiens und arbeitete als Filialleiter
                                                        eines englischen Bankhauses, in das es 1921 auch Dierks verschlug, der sich in der Bank um eine Anstel lung als
                                                        Kassierer bewarb, um seine finanzielle Situation als Student an der École des Beaux-Arts aufzubessern. So lernten sich
                                                        Dierks und Sawyer kennen. Bald zogen sie zusammen und verbrachten ihre Abende vornehmlich in den legen dären
                                                        Bars des Hotel Ritz, wo sich zur Cocktail Hour allabendlich ein amüsierfreudiges, kosmopolitisches Publikum einfand –
                                                        darunter vor allem Amerikaner, die in Paris für ihre Regierung oder amerikanische Konzerne arbeiteten. Hier pflegten
                                                        Dierks und Sawyer – wie später in den Salons an der Croisette – ihre gesellschaftlichen Kontakte und hier erhielten sie
                                                        unter der Hand eine Reihe lukrativer Anlagetipps, die ihnen schon bald ein von ihren jeweiligen Familien finanziell
               ... in das Leben von Le Trident. • ... into life at Le Trident.
                                                        unabhängiges Leben und damit den Umzug an die Côte d'Azur und damit letztlich auch den Bau von Le Tri dent
                                                        ermöglichen sollten. Dierks wurde der gefeierte Architekt, Sawyer sein „Manager“. Ihr unbeschwertes Leben an der
                                                        Riviera endete jedoch abrupt mit dem Ausbruch des Zweiten Weltkriegs. Während Sawyer in der Résistance aktiv war,
                                                        musste Dierks das Land verlassen. Erst 1946 konnten beide nach Le Trident zurückkehren. Dierks fand schnell in die
                                                        Arbeit zurück und eröffnete nun gemeinsam mit zwei Kollegen, Marc-Pierre Renaut und Claude Magne, ein neues Büro
                                                        in der Rue d´Antibes in Cannes. Eine schwere Gefäßerkrankung machte dem Architekten jedoch zunehmend zu schaf-
                                                        fen. 1956 musste ihm ein Bein amputiert werden, was Le Trident, das er so spektakulär auf die Felsen des Pointe de
                                                        l´Esquillon gesetzt hatte, um neugierige Blicke und unliebsame Besucher abzuhalten, letztlich zu einem Gefängnis für
                                                        ihn selbst machte. Vier Jahre später, am 20. Februar 1960, im Alter von 60 Jahren, erlöste ihn der Tod. Sawyer hingegen
                                                        überlebte seinen jüngeren Lebensgefährten um ein Vierteljahrhundert. Als er 1985 verstarb, ging Le Trident, ihr ge -
                                                        meinsames Zuhause, in den Besitz eines Neffen über. Heute gehört das Haus einem reichen russischen Geschäftsmann,
                                                        was einer gewissen Ironie nicht entbehrt, kamen doch Dierks und Sawyer genau in dem Moment an die Côte d'Azur,
                                                        als die Russen verschwanden. Der neue Besitzer ließ die Villa in den vergangenen Jahren von den Stuttgarter Archi -
                                                        tekten Matthias Burkart und Ernst Ulrich Tillmanns vom Architekturbüro 4a Architekten aufwendig sanieren und um -
                                                        bauen. Im Inneren ist nur noch wenig vom Charme der Entstehungszeit übrig geblieben, nach außen jedoch strahlt Le
                                                        Trident im gleißenden Sonnenlicht des Mittelmeeres – genau wie vor 90 Jahren, als sich Barry Dierks und Eric Sawyer
                                                        hier den Traum eines gemeinsamen Lebens erfüllten.



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