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Entwurf • Design Architecten De Vylder Vinck Taillieu, BE-Gent
Bauherr • Client La Fille d´O, Murielle Victorine Scherre, BE-Gent
Standort • Location Kasteelpleinstraat 64, BE-Antwerpen
Nutzfläche • Floor space 175 m 2
Fotos • Photos Filip Dujardin, BE-Gent
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Popstars wie Ri han na, M.I.A. und Lady Gaga schwören auf die Un ter -
wäsche- und Bademoden-Kollektionen des belgischen Labels La Fille
d´O. Das wurde 2003 von der Modedesignerin Murielle Vic to rine
Scherre in Gent gegründet. Hier entstand auch der erste Flag shipstore.
In einer ehemaligen Bäckerei im Zentrum von Ant werpen eröffnete
nun der zweite markeneigene Dessousladen. Den Umbau der his to -
rischen Räume betreute das Architekturbüro De Vylder Vinck Tail lieu.
Der Entwurf der Architekten ist zugleich behutsam und radikal.
Pop stars like Rihanna, M.I.A., and Lady Gaga all favour the under-
wear and swimwear collections from the Belgian label La Fille d´O.
Fashion designer Murielle Victorine Scherre founded the label in
2003 in Ghent. The first flagship store was also built there. In a for-
mer bakery in the centre of Antwerp, the brand's second lingerie
shop was recently opened. The conversion of the historic rooms
was planned and overseen by architecture firm De Vylder Vinck
Taillieu. The architects' design is both cautious and radical.
von • by Dr. Uwe Bresan
D ie Modedesignerin Murielle Victorine Scherre ist der kreative Sturkopf hinter dem
viel beachteten belgischen Dessouslabel La Fille d´O. Ihre ungewöhnlichen Unter -
wäsche- und Bademoden-Kollektionen entstehen nicht – wie so oft in der Bran che – für
die wenigen Trägerinnen mit Model maßen, sondern für die Mehr zahl, deren Kör per
nicht den Idealen von 90–60–90 entspricht. Damit wen det sich Scherre vehement gegen
das eindimensionale Frauen bild, das die zeitgenössische Mode in dus trie beherrscht, und
be tont stattdessen die „Unter schiede, die uns ein zig artig ma chen“. Ent spre chend dieser
Philo so phie werben für La Fille d´O keine 08/15-Models, sondern Frauen jeden Alters,
jeder Hautfarbe und jeder Körper form. Und weil das Unkon ven tionelle zur DNA ihres
Labels gehört, be treibt die Designerin auch keine typischen Dessousläden: In Gent, ihrer
Heimatstadt, residiert La Fille d´O etwa in einer rohen Hips ter-Boutique mit weiß ge -
kalkten Back stein mauern und raum hohen Sprossenwänden als Präsenta tions system.
Alles Blu mi ge und Pudri ge, alles nur klischeehaft Feminine wurde bei der Gestaltung be - Das prächtige Art-déco-Interieur der früheren Bäckerei ... • The magnificent Art Deco interior of the former bakery ...
wusst vermieden. Mit ihrem zweiten Flagshipstore im Zentrum von Ant werpen ist
Scherre nun noch einen Schritt weiter in diese Richtung vorangeschritten. Unter stützung
holte sie sich dafür bei den Architekten Jan De Vylder, Inge Vinck und Jo Taillieu, was
... entstand in den 1930er-Jahren. • ... dates from the 1930s.
eine naheliegende Ent scheidung gewesen sein dürfte: Einerseits, weil auch die drei
Architekten innerhalb ihres Metiers für einen unkonventionellen Zugang bekannt sind;
andererseits wohl auch, weil Gent eine Kleinstadt ist und die jeweiligen Ar beits räume
nur einen Katzensprung voneinander entfernt liegen.
Alles Blumige, Pudrige und Feminine ist bewusst vermieden
Unter gebracht ist der neue Ableger von La Fille d´O in Antwerpen im Erdgeschoss eines
Wohn- und Geschäftshauses aus den 1930er-Jahren. Die Architek ten des viergeschossigen
Art-déco-Gebäudes waren Leo pold De Coninck und Maurice Potié, die damals zwei vor-
handene klassizistische Wohnhäuser verbanden und überformten. Ihr Auftraggeber war
der Bäckermeister Jules Van Dessel, dessen Familie bereits seit den 1880er-Jahren an die-
ser Stelle eine Bäckerei betrieb. Die Innenausstattung der Erdge schossräume realisierte
der „Bouw meester Aug. So mers“. Viele Elemente seiner Einrichtung haben sich bis heute
erhalten – so etwa die beigen Wandverkleidungen des großen Verkaufsraumes aus Lunel-
Marmor samt der schwar zen Sockel- und Schmuck leisten aus Noir-de-Mazy-Stein. Auch
der Schach brett-Boden aus weißem Carrara- und anthrazitfarbenem Petite-Saint-Anne-
Marmor, die schwere Eichenholz-Theke und der kubische, aus farbigen Glas scheiben zu -
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