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Rahel Willhardt
1967 geboren in Kassel 1989—1996 Studium der Soziologie und Forschungstätigkeiten an den Universitäten Nürnberg und Biele -
feld 1997—2003 Öffent lichkeitsarbeit für Agenturen, Ingenieur büros und Konzerne seit 2003 Fachjournalistin für Handel,
Architektur, Immobilienwirtschaft und Marketing
Foto: KaDeWe-Group
Die neue Herrenschuh-Abteilung im KaDeWe entstand nach Plänen des Büros Storage Milano.
So sehr Radices Konzepte die Kassen erwiesenermaßen wieder klingeln lassen – bei
Selfridges wird über eine Umsatzverdop pe lung gemunkelt! –, steht der „Waren haus -
philosoph“ im Ruf, lieber über Visionen als über Umsätze zu reden. Dabei scheint seine
Philosophie verblüffend einfach. Früher als andere begriff er: Einkaufen ist Unterhaltung,
der Kaufakt gewissermaßen beiläufige Folgeer schei nung guter Geschichten und sensori -
scher Erleb nisse. Darum krempelte der Sanierer be reits vor 20 Jahren, als alle noch an
der Maga zin strategie festhielten, Selfridges zum Zwitter aus Museum und Basar um. So
jedenfalls erklärt Retailberater und Designprofessor Rainer Zimmermann Radi ces Erfolg:
High Fashion Brands bot er im Stil eines orientalischen Basars feil und garnierte das Foto: Derek Hudson
Ganze mit popkulturellen Aktivitäten. Seine Nachfolgerin Alannah Weston betont heute
wieder mehr das Museale: Basarelemente wichen zu gunsten von Begehrlichkeits archi - India Mahdavi gestaltete für die „Womens Designer“-Abteilung des KaDeWe einen extravaganten Auftritt.
tek turen. Die Promo tion-Flächen wurden aufgestockt und motivieren zum Ent de cken.
Zum besseren Ver ständ nis: Zim mer mann unterscheidet drei Archetypen des Laden baus:
Das Magazin mit seiner wohlgeordneten Waren vielfalt ist einer davon, hat sich aber Quadratmeter Verkaufs fläche in vier Quad ranten mit je eigenem, ikonischem Treppen -
heute weitgehend überlebt. Die zwei anderen sind das Museum, das durch Inszenierung haus. So sollen vier vertikale Warenhäuser nebeneinander entstehen. Völlig verschieden
Begehrlichkeit weckt, und der un übersichtliche Marktplatz, der zum Stöbern einlädt. in Design und Sortiment deckt jedes an dere Kaufanlässe und Zielgruppen ab. Und es
„Erfolgreich sind Kaufhäuser, die ihre Archetypen stets neu variieren“, erkannte Zim - beschert Europas zweitgrößtem Waren haus eine Übersichtlichkeit, deren Fehlen OMAs
mermann in weltwei ten (Laden-)Feld studien. Soweit also die Theorie! Aber wie paart ausführender Architekt, Ippolito Pestel lini Laparelli, als größtes Manko identifizierte.
Radi ce Deutschlands geschichtsträchtige Waren häuser mit urbanem Lebensstil zum Tou - Lokale Unikate: Historische Fassaden sind einmalig, das Innere des Warenhauses soll es
ris tenmagneten? Wer fen wir einen Blick auf die bisherigen Umbaustaffeln! auch wieder werden! Dafür sorgt ein Feuerwerk der Gestaltung, das jede der bisher sechs
überarbeiteten Abteilungen – zwei in jedem Haus – in ein markantes Anderssein taucht.
Das Erfolgsrezept: großzügig, unverwechselbar und überraschend Der Oberpollinger lebt vom Kontrast: Unterm Dach erschuf Pawson ein 4.500 Quadrat -
meter großes „Living“-Konzept, das auf japanischen Purismus und alpine Thematik setzt.
Neue Großzügigkeit: Freitreppen, prächtige Säulen und Lichthöfe – so sahen sie einst Tageslicht, Holz sowie Messingakzente versprühen wohnliche Wärme und bilden den
aus, die Konsumpaläste. „Mit steigendem Warendruck büßten die Häuser über die Zeit Gegenpol zum „The Storey“ im Keller. Der präsentiert Streetwear im Industriecharme
ihre Offenheit und Transparenz ein, modernisiert gewinnen sie wieder an Groß - eines In-Clubs. Mit dunklen Farben, metalli schem Glanz und geometrischen Formen
zügigkeit“, beschreibt Handelsberater Wolf-Jochen Schulte-Hillen die Neugestaltung des sorgte das Berliner Gestalterduo Gonzalez Haase für die nötige Coolness. Cool, aber im
KaDeWe. So gesehen wird auch das Alsterkaufhaus von 2021 dem von 1936 ähnlicher Sinne von puristisch klar, glänzt auch das Erdgeschoss des Alsterhauses. Gerahmt von
sein als dem von 2015! Erklärtes Ziel von Kleihues+Kleihues ist es, den Klassizismus der hellen Komposit-Steinsäulen und Terrazzoböden, inszeniert sich Kostspieliges auf weißen
Fassade wie der in die Verkaufsräume zu verlängern. Die Zusam menlegung zweier Tischen und silbrigen Regalen. An leihen für die „Accessoire-Halle“ nahmen Klei -
Eingänge und ein rekonstruierter Blick über die ersten zwei Stock werke sind der Anfang. hues+Kleihues im Klassizismus, aber auch bei der naturreinen Küstenlandschaft des
Zwei Rolltreppen und nachträglich eingezogene Geschoss decken sollen noch weichen, Nordens. Lokale Bezüge prägen zudem die Nachbar ab teilung „Neue Schönheit“. Grün -
um das lichtkuppelgekrönte Atrium wieder freizulegen. Beim KaDeWe Berlin wagt OMA gemaserte Marmortische erinnern ans Wasser der Binnenalster und der Kontrast aus
eine Neuinter pre tation alter Konsumpracht. Der Eingang wurde wieder stattlicher, die Eichenholzboden und weißgeriffelten Paneelen greift regionaltypische Backsteinhäuser
Schaufenster größer und von Bögen gekrönt. Ansonsten teilt der Entwurf die 60.000 und Kalksteinvillen auf, erläutern die Londoner Desig ner von Found Associates ihr
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