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Jeden Monat nähern sich unsere Kolumnisten, die Berliner Filmemacher Dominik und Benjamin Reding, dem jeweiligen Heftthema
                auf ihre ganz eigene Art und Weise. Geboren wurden die Zwillinge am 3. Ja nuar 1969 in Dortmund. Während Dominik Architektur
                in Aachen und Film in Hamburg studierte, absolvierte Benjamin ein Schauspielstudium in Stuttgart. 1997 begann die Arbeit an
                ihrem ersten gemeinsamen Kinofilm „Oi! Warning“. Seitdem arbeiten sie für Fernseh- und Kinofilmprojekte zusammen.

                Each month our columnists, Berlin-based filmmakers Dominik and Benjamin Reding, approach the respective issue-specific
                theme in their very personal way. The twins were born on January 3, 1969 in Dortmund. Whilst Dominik studied architecture
                in Aachen and film in Hamburg, Benjamin graduated in acting studies in Stuttgart. They started working on their first joint
                motion picture “Oi! Warning“ in 1997. Since then they have tightly collaborated for TV and cinema film projects.






                „Wetten, dass ich dir mindestens fünf Läden zeigen kann, die noch richtig Herz und  Ein Knopf ist kein Knopf. Ein Knopf ist ein Symbol. Sieht er nicht immer wie ein
                Seele haben?!“ Ich rief es mit viel positiver Energie in der Stimme. Sie schaute hoch.  Gesicht aus, ein lachendes noch dazu? Mit den Bindfaden-Löchern als Augen und
                „Du hast schon verloren.“ Und schüttelte den Kopf „Also, ich brauche einen Kaktus,  dem Rand als Mund? Oder ein Symbol für die Erde, rund und in der Lage, die gegen-
                eine Wintermütze, einen großen, gelben Knopf für meine 70er-Jahre-Bluse, Noten von  sätzlichsten Dinge zusammenzuhalten? Oder ein Symbol für das ganze Universum
                Reinhard-Mey-Liedern und Zaubertinte.“ „Aha“, sagte ich. Wir fuhren los.   sogar, als Kreis unendlich und angefüllt mit lauter kleinen Kreisen? Oder warum sonst
                „Ich hätte gerne einen Kaktus, ungefähr so klein, dass er noch in meine Jackentasche  gäbe es so viele Bücher und Filme, die den Knopf in ihrem Titel tragen? Krieg der
                passt.“ Draußen quälte sich der Feierabendverkehr durch die Wollankstraße in Berlin-  Knöpfe, Jim Knopf, Benjamin Button? Im Laden drängten sich die Kunden. Eine ältere
                Wed ding, hier drinnen glimmten kühle Neonröh ren, roch es nach frischen Rosen,  Dame verlangte Näh nadeln – „aber janz dünne!“ –, eine elegante Modedesignerin
                Hyazinthen, nach Blumendünger und Sau ber keit. Caro schaute  zu mir herüber,  fragte nach Strassknöpfen in Gold und Silber, ein Kunststudent aus Dortmund bat um
                flüsterte: „Blumen-Blümel? Das ha ben die sich ausgedacht, oder?“ „Doch, der Landen  zehn Uniformknöpfe der syrischen Staatsbahn. Eine Million Knöpfe lagern bei „Knopf-
                heißt so, seit 1875“, ant wor  tete ich. „Warst du schon mal hier?“ „Nein, aber so steht es  Paul, Zossener Straße, Inhaber Paul Knopf“ in Schrän ken, Schachteln, Kisten und
                über dem Schaufenster.“ Caro nickte. „Blumen Blümel? Sie heißen wirklich Blümel?“  Kistchen, bis hoch zur kreisrunden Deckenleuchte, die so weiß schimmert wie der







































                Caro war manchmal sehr direkt. „Nein, das waren die Vorvorbesitzer.“ Die beiden  feinste Perlmuttknopf. „Der findet so einen Knopf doch nie.“ Ca ro schaute zweifelnd
                Frauen hinter dem Tresen lach ten: „Ich bin die Inhaberin, Frau Kurt, und die Dame  zum Inhaber, dann zu mir herüber. „Doch. Aber großer, gelber 70er-Jahre-Knopf, das
                neben mir meine Mitarbeiterin, Frau Andriadze.“ Frau Andriadze zeigte auf ein 1960er-  ist viel zu einfach. Sag, dass er aus Plastik sein soll und sich in seiner Mitte ein
                Jahre-Wandregal: „Die Kakteen stehen dort drüben.“ Nicht nur das Wandregal, alles  schwarzes, rundes Lackplättchen befinden muss.“ Caro fragte und Herr Knopf,
                hier, vom Terrazzo-Boden bis zu den Schau fenstern aus Solnhofener-Platten stammte  jugendlich, trotz seiner grauen Haare, ging auf einen der raumhohen Schränke zu,
                aus Konrad Adenauers Regierungsjahren. „Wur de hier schon mal gedreht?“, fragte ich.  öffnete eine Schublade und drückte Caro einen Knopf in die Hand: Groß, gelb, aus
                „Nein“, sagte Frau Kurt.  „Vermieten Sie den Laden, so für Partys, als Event-Location?“  Plastik, mit einem schwarzen Lack plättchen in der Mitte. „Danke“, sagte Caro. „Gern
                Sie schaute mich überrascht an. „Nein.“ „Finden Sie den Laden kultig?“ „Kultig?“, Frau  geschehen“, antworte Herr Knopf.
                Kurt lächelte fast entschuldigend. „Er ist schon etwas älter.“ Caro kaufte den Kaktus  Vielleicht hat hier jemand gezaubert? Abrakadabra, einen Laden für Scherzartikel auf
                und noch drei Rosen, voll und rot. „Cool, dass es Ihren alten Blumenladen noch gibt“,  ein Friedhofsgrundstück. Denn da steht der „Zauberkönig“. Auf einem Friedhofs-
                sagte sie. „Ja, aber nur noch einen Monat, dann schließen wir. Für immer!“, antwortete  grundstück in Berlin-Neukölln. Zwischen Dö nerbuden und Handyshops. Man kann
                Frau Kurt und wickelte die Rosen liebevoll ins Packpapier.    das Ge bäude einen „Verkaufspa vil lon“ nennen oder, etwas ruppiger, eine Nachkriegs -



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