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Redings Essay
HASENHAAR &
HYAZINTHE
Ein Essay von Dominik Reding
Alle wollen im Wendland wohnen. Ärzte aus Hamburg, Studenten aus Hannover, Öko- Bauernhof. Einmal im Jahr kam sie mich in Berlin besuchen. „Damit mir das Efeu nicht
Bauern aus Lüneburg und Caro aus Esslingen. Caro, die Weltreisende. Caro, die über mein Hirn wächst“, sagte sie. Und am Bahnhof, wenn sie aus dem Zug stieg:
Maurerin. Ja, Caro hat Maurerin gelernt. Drei Jahre, bei den Esslinger Baubetrieben „Diesmal kaufe ich nix. Ganz be stimmt.“ Es klappte nie. Einmal entdeckte sie in einem
GmbH. Sie sieht nicht so aus, nicht so, wie man sich eine Maurerin vielleicht vorstellt. Modeladen ein buntes Stück Stoff, für das ich selbst als Topflappen nicht mehr als
Mit breitem Kreuz, lauter, tiefer Stimme und Schaufelhänden. Caro ist schlank mit einen Euro investiert hätte. Das sei ein Top, erklärte sie mir, zog es über und, ja, natür-
weichen, tänzerischen Be wegungen und einem schmalen Kopf mit großen Augen und lich, sie sah fantastisch darin aus. Im nächs ten Jahr kam Caro nicht. Sie rief mich an.
langen, rotblonden Haaren. Laut und breit ist nur ihr Lachen. In Sydney habe ich sie Mit ihrem Motorrad hätte sie sich „lang gelegt“. Nix Schlimmes, nur ein paar
das erste Mal getroffen. „Him melarschundzwirn!“, hat sie gerufen und beim Schrammen. Aber sie müsste sich ausruhen. Auch im nächsten Jahr kam sie nicht.
Armdrücken gewonnen. In einem bierfeuchten Pub im örtlichen Vergnügungsviertel. Diesmal ohne Anruf. Und auch im Jahr darauf nicht. Das Wend land ist ja auch schöner,
Sie hat es auf Deutsch gerufen, „Him mel arsch undzwirn“, mit leicht schwäbischem der Garten, der Bauernhof, das Efeu, da muss man nicht mehr nach Berlin kommen,
Akzent. Die einen arbeiten in den Sommer ferien als Aupair auf Norderney, die anderen dachte ich. Dann klingelte das Telefon. „Ich steh am Hauptbahnhof, holst du mich ab?“
als Hilfskraft im Heidepark-Soltau, Caro arbeitete in einem Bergwerk in Coober Pedy, Ich kam zu spät, Caro wartete im Regen. Im nächsten Café, irgend einem Segafredo
einem dieser glutheißen 1000-Seelen-Käffer in den australischen Outbacks. Sie oder Starbucks, wärmten wir uns auf. „Keine richtigen Läden gibt’s mehr, nur noch so
schürfte nach Edelsteinen, den milchig-glitzerigen Opalen. In Sydney war sie nur für blöde Ketten.“ Caro rührte missmutig in ihrem Papp becher herum. „Alles ohne Herz
ein Wochenende. „Wetten, dass ich den besiege?!“ Zwischen die Kneipengäste zwängte und ohne Seele. So´n Scheiß.“ Es klang nicht lustig, nicht mal ironisch. Fast etwas
sich ein Zweimetermann, der ahnen ließ, dass Aus tra lien als Strafkolonie gegründet meckerig. „Willst du Milch?“ „Nein“, sagte sie. Erst jetzt, im Licht der Tischlampen, sah
worden war. Muskeln und Tattoos hoch bis zu den geschwollenen Halsschlag adern. ich es und auch erst, als sie sich mit den Händen durch die nassen Haare strich. Eine
Caro sagte sowas öfter: „Wetten, dass ich in drei Wochen den Motorrad füh rerschein Narbe verlief quer über ihre Stirn und eine zweite, kleinere über ihr Kinn. Nicht beson-
ha be?!“ Sie hat te ihn in zwei Wochen. „Wetten, dass ich jetzt im Meer schwimme ders tief, nicht besonders breit, aber zwei Narben eben – im Gesicht. „Natürlich gibt
werde?!“ Sie schwamm in der Nord see, bei plus fünf Grad. „Wet ten, dass das ich auf es noch schöne, alte Läden in Berlin, so richtig mit Herz und Seele. Man muss nur ein
dem Dachfirst laufen kann?!“ Sie lief, verlor das Gleichgewicht und kletterte mit ein bisschen suchen.“ „Quatsch. Nix gibt´s. Nur noch diese blöden Ketten, wo alles gleich
paar blauen Fle cken aus der Regenrin ne. Damals in Sydney hörte ich es von ihr zum aussieht. Gleich doof. “ Caro schob das Plastikmilchkännchen mal hier, mal dort hin
ersten Mal: „Wetten, dass ... ich den besiege?!“ Sie besiegte ihn. Caro kehrte nach und entdeckte, für einen kurzen Moment, ihr Spiegelbild in der gläsernen Tischplatte.
Deutschland zurück, zog ins Wendland und kaufte einen Efeuüberwucherten „Ich werde alt ...“ Sie sagte es leise. Ich glaube nicht, dass sie wollte, dass ich es höre.
052 • AIT 1/2.2017