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REDINGS ESSAY

               not baracke. Zusammenge stückelt  aus Trümmerzie geln,  Bauholz  und  einem  guss -  „Ich hab´ gewonnen.“ Caro schaute nicht zu mir. Ich sagte es noch einmal, et was
               eisernen Kohleofen. Der wärmt den Laden bis heute. Ja, alt ist der Zau ber könig. 130  lauter. „Wir sind im fünften Laden. Hüte Klee mann, Schönhauser Al lee, gegründet
               Jahre bald. Ge grün det von einem Zaube rer aus Wien. Jedem seiner vier Töchter ver-  1905. Ich habe gewonnen!“ Caro drehte sich nicht um, sie blickte in den Spiegel. Und
               machte er einen Zauberladen. Einen in Köln, einen in München, einen in Wien und  hatte einen Hut auf dem Kopf. Den vierten in Folge. Na tür lich längst keine Wintermütze
               einen in Berlin. Besitzer wechselten, Kriege kamen und gingen, Kaiser, Revolutionäre,  mehr. Frau Persche, die Modistin und Ladeninhaberin, nahm den nächsten Hut vom
               Diktatoren, Schmidts, Kohls und Merkels, aber der Zauberladen, der blieb. Jetzt leiten  Art-deco-Regal  und  setzte  Caro  behutsam  das  neue  Modell  auf  den  Kopf,  eine
               ihn Frau German und Frau Hinze. Zwei junge, moderne Frauen, die um das Einmalige  Eigenkreation. „Das ist ein Fascinator“, erklärte sie. „Aus ganz feinem,  weichem
               des „Zauberkönigs“  wissen. Kinder  waren im Laden, sie guckten, kicherten und  Hasenhaarfilz.“ „Haben Ihre eigenen Entwürfe Namen?“, ich wollte witzig sein: „Das
               staunten: Plastikkot und Knall-Zigaretten, Wurmpillen und Hasenzähne, Hühnerköpfe  Schwalbennest oder der schiefe Turm von Pisa oder so was?“ „Nein, ich habe es nicht
               aus Gummi und den „Atomic Robot Man“ aus Blech, alles eng beieinander in den  .so mit der Kunst, mehr mit dem Handwerk“ Frau Persche warf wieder einen prüfen-
               gläsernen Vitrinen. Ein Kunde fragte auf Englisch nach einem „Foam Brick“, den er  den Blick auf den Fascinator. „Als ich gelernt habe, Ende der 1980er-Jahre, da trugen
               für einen Scha bernack, einen „Hoax“ mit seinem  Vermieter bräuchte und bekam  sie alle noch Hüte, hier in Ost-Berlin. Aber als dann die Autos kamen nach der Wende,
               einen täuschend ech ten Ziegelstein aus Hartschaum in die Hand gedrückt. „Jetzt frag  die sind ja schön warm, die Autos, da wurden es weniger.“ Frau Persche zupft den Tüll
               endlich!“ Caro stieß mich an. „Haben Sie Zaubertinte?“ Die beiden jungen Frauen  an einem Modell  zurecht. „Aber jetzt kommen sie  wieder. Auch ein bisschen
               hinter dem Tresen antworteten unisono: „Ja, zwei Sorten, die blaue Schrecktinte und  Prominenz, Robert Stadlober, Peter Fox. Die meisten Hutkäufer in meinem Laden sind
               die rote, das Zauberblut.“ Ich schaute zu Caro herüber. „Zauberblut“, sagte sie. Und  übrigens junge Männer.“ Caro hörte nicht hin, Caro betrachtete ihr Spiegelbild, schob
               lächelte. Das erste Mal heute.                                den Hut mal nach hinten, mal nach vorn, drehte sich mal nach links, mal nach rechts.
               Der U-Bahntunnel wurde erneuert, die Karl-Marx-Straße war gesperrt, also gingen wir  Sogar in einen zweiten Spiegel blickte sie und lächelte. „Sieht toll aus, was?! Richtig
               die letzten Meter zu Fuß. Man sah das Haus sofort. Nicht weil es größer oder schöner  toll!“ Sie schaute zu mir herüber, schob den Hut keck aus dem Gesicht zurück. Ihr
               oder herausgeputzter war, sondern anders als alle anderen. Auf den Neonreklamen  Lächeln steckte an. „Ja“, sagte ich. „Ja, es sieht toll aus!“







































               stand nicht „McDonalds“ oder „Hennes & Mauritz“, sondern „Grammophon“ und  An Essay by Dominik Reding
               „Telefunken“. In den Schaufenstern lagen keine Smartphones und Tablets, sondern
               Tschaikowsky-Noten und Klavierhocker. Und hinter der Eingangstür dudelte keine E  Everyone wants to live in the Wendland. Physicians from Hamburg, students
                                                                                from Hannover, eco farmers from Lüneburg, as well as Caro from Esslingen.
               Muzak und blinkten keine LED-Lampen, hier wartete hinter einem Notenschlüssel als  Caro, the globetrotter. Caro, the bricklayer. Yes indeed, Caro was trained as a brick-
               Türdrücker eine andere Welt: „Musikhaus-Bading“. Gegründet 1919. Frau Bading saß  layer. Three years of vocational training at the Esslinger Baubetrieben Company. She
               auf ihrem Stuhl vor dem Tresen und begrüßte Caro und mich so warmherzig, als kenne  does not look like one, does not look like you imagine a bricklayer: broad-shoul-
               sie uns schon seit Jahren. Mit ihren 82 Jahren ist Frau Bading die Zweitälteste hier, oft  dered, with a loud, deep voice and shovel-like hands. Caro is a slender person, gen-
               kommt auch die Tochter des Firmengründers vorbei. Sie ist 92 Jahre alt. Und dann gibt  tly moves like a dancer and has a narrow head with large eyes and long, sandy hair.
               es noch Herrn Götz, den Jung spund mit seinen 67 Jahren. Caro blätterte in den Noten -  Only her laugh is loud and wide. I first met her in Sydney. “Himmel, Arsch und
               kisten. Reinhard Mey fand sie auf Anhieb. „Über den Wolken“. „Wurden hier früher Fil -  Zwirn!” she shouted and won the arm wrestling competition. In a beer pub in the
               me gezeigt?“, ich deutete auf das hand gemalte Glasschildchen „Vorführraum“ über der  local entertainment district. She shouted it in German, “Himmel, Arsch und Zwirn”,
               Kellertreppe. Herr Götz schüttelte den Kopf. „Nein, da wurden Schelllackplatten ge hört.  with a slight Swabian accent. Some teenagers work as an au pair on the Island of
               Auf Gram mophonen, in den Vor führkabinen.“ Wir gingen hinab, vorbei an den Ka -  Norderney during their summer holidays, others as an auxiliary at the Heidepark
               binen,  vorbei an langen Reihen  verbli che ner Fotografien. Opernsänger, Dirigenten,  Soltau theme park, but Cora worked in a mine in Coober Pedy, one of these extreme-
               Schau spieler. Johannes Heesters, Otto Klem perer, Hans Albers. Mit  Widmungen an die  ly hot dumps with 1,000 inhabitants in the Australian outback. She dug for precious
               Fir mengründer. Hatten wir da nicht etwas ge hört? Charleston-Klänge oder Walzer oder  stones, for milky glittering opals. She visited Sydney only for a weekend.  “I’ll bet
               war es doch nur das Rauschen des Straßen verkehrs? „Du, bei Musik-Bading kann man  that I can beat him!” A two-metre guy squeezed through the guests in the pub, who
               nicht nur was kaufen, da be kommt man was ge schenkt“, flüsterte Caro. „Was denn?“,  gave everyone the idea that Australia had been founded as a convict colony. Muscles
               fragte ich. „Eine Zeitreise.“ Caro lä chelte. Das zweite Mal heute.   and tattoos up to the swollen carotids. Caro came out with sentences like that quite



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