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Antje Damm
Fotos: Archiv Antje Damm 1965 in Wiesbaden geboren, in Gießen aufgewachsen und zur Schule gegangen 1984—1985 Au-pair in Rom 1985—1993 Architekturstudium an der TU Darmstadt 1988—1989 DAAD-
Stipendium für die Universität Florenz 1993—1995 Architektin in Berlin 1995—2000 Architektin in Nürnberg seit 2000 als Kinderbuchautorin und Illustratorin tätig für die Verlage Moritz,
Gerstenberg, Hanser, Beltz etc. Kontakt www.auserlesen-ausgezeichnet.de, www.moritzverlag.de
Und so entstehen die Bilder: Mittels Zeichnung, Modellbau und Fotografie schafft Antje Damm Szenarien zur Illustration ihrer Bücher. • And this is how the images are created: With drawings, model building and photography.
F rau Damm, Sie sind Architektin, arbeiten seit dem Jahr 2000 jedoch als erzählen kann, das man in den Bildern nicht sieht. In den Bildern wiederum kann ich
Szenarien zeigen, die das Erzählte ergänzen, weiterspinnen oder sogar neu erzählen.
erfolgreiche Kinderbuchautorin und -illustratorin. Unzählige kleine und
große Leser erfreuen sich an Ihren Büchern. Erinnern Sie sich noch, wie Sie Ihr
erstes Manuskript bei einem Verlag eingereicht haben? r Die olfaktorischen Aspekte von Architektur finden bislang noch wenig Beach -
Nach der Geburt meiner ersten beiden Kinder nahm ich an vielen Wettbewerben teil. tung. In „Regenwurmtage“ lassen Sie Ihre Protagonisten, die Schulanfängerin Ida,
Die freien Phasen nutzte ich und zeichnete Bilderbücher. Allerdings nicht, um diese sagen: „Hier riecht es komisch, denkt sie. So einen komischen Geruch hat sie
jemals zu veröffentlichen. Durch Zufall lernte ich eine Mitarbeiterin eines Kinder - noch nie gerochen … Schule riecht wie Radiergummi und Kloputzzeug vermischt.
buchverlags kennen, und diese bestärkte mich darin, meine Buchideen an Verlage zu Oder irgendwie anders.“ Wie sehr verbinden wir Kindheitserinnerungen an
schicken. Ich suchte mir fünf Verlage aus, die ich sehr mochte, unter anderem den Räume und Orte mit Gerüchen?
Moritz Verlag, bei dem ich regelmäßig publiziere. Meine ersten Bücher erschienen Der Geruch ist absolut unterschätzt. Er kann im Buch in Worten beschrieben werden
allerdings im Schweizer Atlantis Verlag. Ich war mir damals gar nicht bewusst, was und uns bei der Wahrnehmung von Räumen beeinflussen. In der Architektur spielt er
für ein großes Glück ich hatte, als die Zusage kam. Es war mein Einstieg in die kaum eine Rolle, dabei kann er das Erleben prägen. Ich habe oft Gerüche im Kopf,
Kinderbuchszene, und ich lernte, mit wie viel Arbeit es verbunden ist, ein Buch auf wenn ich an die Orte meiner Kindheit zurückkehre. Bei meinen Großeltern, die ich in
den Weg zu bringen. den Ferien besuchen durfte, stank es immer ganz extrem nach einer Gummifabrik.
r Ihr Buch „Der Besuch“ ist mit Raumszenarien bebildert, die Sie selbst mit Karton r Unsere AIT-Kolumnisten Benjamin und Dominik Reding überraschen uns immer
gebaut, koloriert, beleuchtet und schließlich fotografiert haben. Wie viel wieder durch Ihre gekonnt in Worte gefassten, scheinbar unerschöpflichen
Architektin steckt noch in Ihnen? Erlebnisse. Die beiden Zwillingsbrüder betonen, sie seien genaue Beobachter.
Natürlich habe ich als Architektin viele Modelle gebaut. Ich fand es immer gut, wenn Wie viel Inspiration ziehen Sie aus dem Alltäglichen?
diese Modelle auch Arbeitsmodelle waren und nicht nur der perfekten Präsentation Ich habe vier sehr unterschiedliche Töchter und der Alltag ist oft der beste Lieferant
einer Idee dienten. Die räumliche Vorstellung funktioniert durch ein Modell einfach an lustigen, absurden, interessanten und erzählenswerten Geschichten. Man muss
besser. Das Bilderbuch „Der Besuch“ basiert auf einem sehr simpel gebauten nur genau hinschauen. Besonders beschäftigen mich Fragen an Kinder, durch die
Raumszenario, dem Zuhause einer alten, einsamen Frau. Der Besuch eines Kindes man mit ihnen ins Gespräch kommen kann, wie in „Frag mich!“. Dies war mein
verändert ihr Leben. Im Modell ist dies daran zu erkennen, dass nach und nach Farbe erstes Fragebuch. Es war sehr erfolgreich und wurde in viele Sprachen übersetzt. Es
und Licht in die Wohnung einziehen. Es ging mir dabei nicht um Perfektion, sondern folg ten weitere „philosophi sche Fragebücher“ zum Thema „Zeit“, „Wahrheit und
vielmehr darum, etwas zu bauen, das Kindern Lust macht, sich einen Pappkarton zu Lüge“ und sogar dem „Nichts“.
schnappen und selbst loszulegen. Das tue ich auch in meinen Workshops mit
Kindern, und es macht unglaublich viel Spaß. r Und wie viel Autobiografisches spiegeln Ihre Bücher wider? Ihre Erzählung
„Kiki“ basiert auf Ihren eigenen Kindheitserlebnissen ...
r Die Kombination aus Autorin und Illustratorin in Personalunion ist selten. Ist In manchen Büchern steckt viel eigenes Erlebtes, das sich aber auch mit Erfundenem
das für Sie die ideale Basis des Storytellings? Denken Sie beim Schreiben in mischt. Kiki war meine beste Freundin, die im Alter von zehn Jahren durch einen Unfall
Bildern? Oder finden Sie umgekehrt Worte für Ihre Bilder? verstarb. Ich habe sie sehr vermisst, weil sie ein sehr ungewöhnliches und besonderes
Ich denke bei manchen Projekten zunächst in Bildern und zeichne zuerst. Bei anderen Kind war. Wir haben auf Äckern archäologische Grabungen gemacht, Bauernhofkatzen
ist es umgekehrt. Für mich sind beide Arbeitsprozesse untrennbar miteinander verbun- gepflegt, viel zusammen gebaut und gemalt und sogar Gemüse im kleinen Dorfladen
den und laufen auch parallel. Der Reiz an der Sache ist, dass man manches durch Worte geklaut. Obwohl es sich auch mit Kikis Tod beschäftigt, ist das Buch oft lustig.
AIT 4.2018 • 031