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BANKEN UND BEHÖRDEN • BANKS AND AUTHORITY BUILDINGS
RATHAUS
IN KORBACH
Entwurf • Design ARGE agn – heimspielarchitekten, Ibbenbüren/Münster
Materiell wie ideell unterstreicht die ARGE agn – heimspielarchitekten
mit der neuen Korbacher Rathauserweiterung die nicht ganz neue
Erkenntnis, dass die Erde rund ist und alles einem natürlichen Kreis-
lauf unterliegt, beziehungsweise unterliegen sollte. Im großen wie im
kleinen Maßstab, städtebaulich wie konstruktiv wird der Faden der
Geschichte aufgenommen und in die Zukunft geworfen.
von • by Daniela Keck, Stuttgart
S chon im 2017 entschiedenen und europaweit ausgeschriebenen Wettbewerbsverfah-
ren mit 133 Teilnehmenden waren Aspekte einer weitergedachten Nachhaltigkeit ver-
ankert. Im Sinne einer quartiersbezogenen Stadtreparatur sollte der zentrale Stadtbereich
Korbachs mit dem Rathaus aus dem Jahr 1377 und seinem historisch geprägten Umfeld
neu gestaltet werden. Die Rathauserweiterung aus den 1970er-Jahren musste dafür wei-
chen, durfte ihre „Gene“ aber als Erbmaterial in Form von recyceltem Beton und Ziegel
an nachfolgende Generationen weitergeben. Insgesamt 5823 von 9617 Tonnen des Ab-
bruchs wurden so in den materiellen Kreislauf zurückgeführt und fanden in Tragwerk,
Fassade, Baugrube und Planum eine neues Zuhause. Mit diesem Prinzip des „Urban Mi-
ning“ werden alle Materialien im Neubau so gefügt, dass sie gleichsam für zukünftige Ge-
nerationen sortenrein rückbaubar und wiederverwendbar sind. Dass der abgebrochene
Ziegel aus der 1970er-Jahre-Erweiterung als Körnung in den Fassadenplatten wie in den
Außenbelägen wiederzuentdecken ist, gibt dem öffentlichen Haus einen identitätsstiften-
den, geradezu baugeschichtlich versöhnenden Charakter. Damit wird das Rathaus Kor-
bach zum beispielhaften Modellprojekt in einer Branche, die allein in Deutschland jähr-
lich 544 Millionen Tonnen mineralischer Rohstoffe abbaut und zur Herstellung von Bau-
stoffen verwendet. Gleichzeitig stellen Abfälle aus dem Bausektor mit zirka 231 Millionen
Tonnen pro Jahr rund 55 Prozent der Abfälle dar. Faszinierend an diesem Projekt ist aber
nicht nur der nachhaltige und nachweisliche Gewinn für zukünftige Generationen und
die Schonung von Primärressourcen, sondern auch die gestalterische Wirkungskraft des
Ensembles. Die klare Fügung von Material und Bauvolumen sorgt für eine sinnliche Zu-
gänglichkeit und Ablesbarkeit für die ganze Stadtgesellschaft. Mit der städtebaulichen
Setzung respektieren die Architekten das alte Rathaus und die bestehende Umgebung
und schaffen eine Durchwegung, die selbstverständlich und in einem demokratischen
Sinne in das Hausinnere führt. So setzt auch die öffentliche Hand ein politisches Zeichen –
in einer deutlichen Sprache: Die Erde ist rund, aber die Ressourcen sind endlich.
086 • AIT 12.2022