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           BCN                                    41° 17’ 49’’ N, 2° 4’ 42’’ O (Barcelona)                           Stephan Faulhaber
                                                                                                                     Zimmerer, Architektur-
                                                                                                                     studium (Uni) in Stuttgart
                                                                                                                     und Darmstadt, Mitarbeit in
                                                                                                                     Architekturbüros, seit 2021
                                                  Barcelona – Sant Just Desvern (10 km)
                                                                                                                     bei AIT als Redakteur
                                          Monumental

                                          „Das Architekturelend der letzten hundert   monumentale Wohnhäuser – eines davon   “Architectural decline over the last
                                          Jahre kommt [...] daher, dass Bauherren   ehemals Zementfabrik –, durch die einem  hundred years resulted from both clients
                                          wie Architekten den Instinkt dafür verloren   Ricardo  Bofill  (1939–2022) in Sant Just  and architects losing the instinct for where
                                          hatten, wo monumentale Bauformen am   Desvern ein bestimmtes Aber! entlocken:  monumental forms belong and where they
                                          Platz sind und wo nicht [...] und dieser   das Walden 7 und La Fábrica, in welcher   do not. This exaggeration of the ordinary
                                          sinnlosen Übersteigerung des Gewöhnli-  der Katalane seine multidisziplinäre Werk-  corresponded to the devaluation of monu-
                                          chen entsprach auf der anderen Seite die   statt Taller de Arquitectura besaß. Diese  mental forms,” criticised Swiss architect
                                          Entwertung der Monumentalformen, die   beiden benachbarten Gebäude  wurden   and art historian Peter Meyer (1894–1984)
                                          eben deshalb ihre auszeichnende Kraft   1975 fertiggestellt – also noch vor Bofills   in 1937! Neither factories nor bourgeois
                                          verloren, weil man sie überall verschwen-  teils strittigem Schaffen in den Pariser Vor-  residences are the right places for monu-
                                          dete“, kritisierte der Schweizer Architekt   orten in den 1980er-Jahren. Infolge falscher  mental extravagance. However, it is preci-
                                          und Kunsthistoriker Peter Meyer (1894–  Verklebung entledigte sich das bauchige   sely through two monumental residential
                                          1984) in Band 24 der Zeitschrift Das Werk   Walden 7 früh seiner Keramikverkleidung.   buildings that Ricardo Bofill (1939–2022)
                                          rückblickend – und gleichermaßen voraus-  Der zutage getretene Beton erhielt einen   in Sant Just Desvern reveals a resolute
                                          schauend – die monumentale Architektur   Anstrich, nurmehr die, wie Erker anmuten-  “but” – Walden 7 and La Fábrica, both
                                          am unmonumentalen Typus. Und das im   den Balkone sind gefliest. Postmodern und   completed in 1975. Due to incorrect adhe-
                                          Jahr 1937! Weder Fabriken noch bürgerli-  brutalistisch wider Willen ... In Zeiten des   sive application, Walden 7 quickly lost its
                                          che Wohnhäuser seien der rechte Ort für   Wohnraummangels ruft einem die terra-  ceramic cladding. Postmodern and unwit-
           Fotos: Stephan Faulhaber       möchte man Meyer vorerst beistimmen   Größe  die  Gewichtigkeit  sozialen  Woh-  tages, the landmark’s sheer size reminds
                                                                                                        tingly brutalist... In times of housing shor-
                                                                         kottafarbene Landmarke ob ihrer schieren
                                          den monumentalen Formaufwand. Nun
                                                                                                        of the significance of social housing – thus
                                          und seiner Haltung Allgemeingültigkeit
                                                                         nungsbaus ins Gedächtnis – und kommt
                                                                                                        embracing the essence of a monument.
                                          zuschreiben. Doch sind es gerade  zwei
                                                                         so der Bedeutung eines Monuments nach.

           HAM                                    53° 33’ 2’’ N, 9° 59’ 36’’ O (Hamburg)                             Kira Kawohl
                                                                                                                     Studierte Kunstgeschichte
                                                                                                                     an der Universität Wien,
                                                                                                                     Innenarchitektur an der
                                                                                                                     TH OWL in Detmold. Ist seit
                                                                                                                     2020 Redakteurin bei AIT.

                                          Markant


                                          Christiansholm, Christianskirche, Chri-  Jacobsen und Otto Weitling. Mit einem   Danish King Christian VI (1699-1746) esta-
                                          stianeum – wenn im Norden der Name   auf die Veränderbarkeit der Innenräume  blished the Christianeum grammar school
                                          Christian auftaucht, steckt meist eine mit   ausgelegten Entwurf kamen die Kopen-  in 1744 in the then-Danish city of Altona.
                                          dem dänischen Königshaus verbandelte   hagener Architekten den Forderungen  The first late Baroque school building and
                                          Geschichte dahinter. Seit 1448 heißt jeder   nach baulicher Offenheit und pädagogi-  the brick building (1936) by Gustav Oelsner
                                          zweite dänische König Christian. Einer   schen Aspekten nach. Noch heute ist der   in the New Objectivity style were destroy-
                                          davon, Christian VI. (1699–1746), begrün-  revolutionäre Modulbau identitätsstiftend  ed. In the 1960s, Arne Jacobsen and Otto
                                          dete 1744 ein altsprachliches Gymnasium   für die SchülerInnen des Christianeums.  Weitling won the competition for a new
                                          in  der  damals  dänischen Stadt  Altona,   Markante Außenträger stützen den groß-  school building in Hamburg-Othmarschen.
                                          die heute bekanntermaßen zu Hamburg   flächig verglasten Flachbau. Innen gibt es  The design focused on the adaptability of
                                          gehört. Sowohl das erste spätbarocke   kaum tragende Wände, sodass auch in  interior spaces, thus meeting the demands
                                          Schulhaus des Christianeums als auch   den Gängen weite Blickachsen entstanden   for architectural openness and pedagogi-
                                          der im Jahr 1936 bezogene Klinkerbau   sind. Die Aula im Erdgeschoss öffnet sich  cal aspects – to this day. Prominent exte-
                                          von Gustav Oelsner im Stil der Neuen   über große Fensterflächen zum Freilicht-  rior supports characterise the extensively
                                          Sachlichkeit wären heute zwei schmucke   theater im Hof. Im Obergeschoss sind die  glazed low-rise structure. Inside, there are
                                          Stücke Hamburger Architekturgeschichte.   Klassenräume pavillonartig in die äußere  hardly any load-bearing  walls, creating
                                          Ersteres  fiel  aber  den  Bombennächten,   Tragstruktur eingestellt. Das originale Farb-  wide visual axes. The classroom  are inte-
                                          Letzteres dem Elbtunnelbau zum Opfer,   konzept mit Gelb- und Petroltönen zoniert   grated into the outer supporting structure
                                          wie viele andere Bauschätze dieser Stadt.   die einzelnen Bereiche. Jacobsen hat sein   like pavilions. The original colour scheme
           Fotos: Kira Kawohl             Den in den 1960er-Jahren ausgerufenen   Hamburger Gesamtkunstwerk nie vollen-  zones the different areas. Jacobsen passed
                                          Wettbewerb für einen Schulneubau in
                                                                                                        away a few months before his masterpiece
                                                                         det gesehen. Er starb wenige Monate vor
                                          Hamburg-Othmarschen gewannen  Arne
                                                                                                        was inauguration in 1972.
                                                                         der Einweihung der Schule im Jahr 1972.
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