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Dr. Harald Gründl


                                     1967 in Wien geboren, Studium Industriedesign an der Universität für angewandte Kunst in Wien 1995 Gründung des Design -
                Foto: Elfie Semotan  studios EOOS in Wien (zusammen mit Martin Bergmann und Gernot Bohmann) 2005 Promotion in Philosophie 2009 Habilita-
                                     tion in Theorie und Geschichte des Designs             ww.eoos.com | www.urinetrap.com | www.eawag.ch | www.vuna.ch | www.ethz.ch | www.laufen.com




                im Nährstoffeintrag über die Landwirtschaft; in vielen Küstengebieten spielt aber auch
                Abwasser eine Rolle. Im Mündungsgebiet der Seine in Frankreich beträgt der Anteil an
                reaktivem Stickstoff aus Abwasser fast ein Drittel! Seit Mitte der 1990er-Jahre untersucht
                eines der weltweit führenden Wasserforschungsinstitute, die Schweizer Eawag, mögliche
                alternative Wege zur Verringerung der durch unsere Abwässer verursachten Umweltver-
                schmutzung. Die Wissenschaftler und Wissenschaftlerinnen haben dabei ein Verfahren
                entwickelt, das mithilfe dezentraler und hocheffizienter Bio-Reaktoren Nährstoffe aus
                dem Urin extrahieren kann. Zugleich werden Medikamentenrückstände und Hormone
                neutralisiert. Infolgedessen können bis zu 80 Prozent des im Abwasser enthaltenen Stick-
                stoffs aus dem Abwasserstrom entfernt werden, was wiederum den Aufwand verringert,
                der für den Betrieb von Kläranlagen erforderlich ist. Für die Nährstoffrückgewinnung wer-
                den Verfahren mit biologischer Stabilisierung, Aktivkohlefiltration und Destillation ver-
                wendet. Sie erlauben die Umwandlung des Urins in ein handelsübliches und vom
                schweizerischen Bundesamt für Landwirtschaft zugelassenes Düngemittel namens Aurin.
                Die wichtigste Voraussetzung für das vom Eawag-Spin-off Vuna konzipierte Nährstoffre-
                cycling – die saubere Urin-Abtrennung noch in der Toilette – stellte die Wissenschaftler
                und Wissenschaftlerinnen bisher allerdings vor große Probleme. Die wenigen Versuche,
                die es in der Vergangenheit gab, ein einfach zu handhabendes und wartungsarmes Trenn-
                WC in industriellem Maßstab herzustellen, scheiterten allesamt. Die Modelle neigten ent-
                weder zum Verstopfen durch Fremdkörper oder Papier, waren in ihrer Spülleistung be-
                einträchtigt, haben sich als zu wartungsintensiv erwiesen oder führten zu Geruchsbelä-
                stigungen. Letztlich war ihre Benutzung immer zu umständlich und meist nicht auf die  save! unterscheidet sich optisch nicht von anderen WCs. • save! does not differ in appearance from other WCs.
                unterschiedlichen Sitzpositionen von Männern, Frauen und Kindern ausgelegt. EOOS hat
                durch eine intensive Designforschung die Grundlagen für eine ergonomische Urin-Sepa-
                rationstoilette erarbeitet. Dabei wurden mittels Thermokamera Aufzeichnungen des Urin-
                strahls von Männern und Frauen recherchiert. Die Weiterentwicklung hin zu einem
                marktreifen Trenn-WC erfolgte wiederum im nächsten Schritt gemeinsam mit der ETH
                Zürich, die entsprechende Strömungsberechnungen durchführte, der Eawag und dem
                Entwicklungsteam des Schweizer Badherstellers Laufen. Das Ergebnis feierte unter dem
                Namen save! auf der diesjährigen Frankfurter Sanitärmesse ISH Premiere und ist noch
                bis zum 1. September im Rahmen einer von uns gestalteten Installation zur Ausstellung
                „Broken Nature“ in der Mailänder Triennale zu sehen.

                Passive Abwasser-Trennung durch den Teekannen-Effekt          Funktion des von EOOS entwickelten WC-Modells • Operating principle of the WC model developed by EOOS

                Die „Technik“ hinter unserem WC-Entwurf ist denkbar einfach und verzichtet völlig auf
                mechanische Teile. Stattdessen wird die Trennung der Urin- und Fäkalienströme allein
                durch die Parameter Oberflächenspannung, Wasserführung und keramische Formge-
                bung realisiert. Dazu nutzen wir den Effekt, dass die Menge sowie die Strömungsge-
                schwindigkeit von Flüssigkeiten deren Fließverhalten bestimmen. Das kennt jeder, der
                schon mal eine Teekanne verwendet hat: Ist die Menge des Tees beim Ausgießen groß
                und schnell genug, strömt die Flüssigkeit in einem Bogen in die Tasse. Verringern sich
                Menge und Geschwindigkeit des Tees beim Absetzen der Kanne, fließt die Restflüssigkeit
                am Auslauf herunter. Dank dieses Effekts werden in unserem Trenn-WC der Urin – geringe
                Menge, langsam fließend – und das nachfolgende Spülwasser – reichlich und schnell
                strömend – passiv voneinander getrennt. Das funktioniert sowohl für Männer, Frauen und
                Kinder – abgesehen von einer kleinen Einschränkung für manche männliche Toiletten-
                gänger: Denn damit der Urin optimal gesammelt wird, heißt es: Bitte im Sitzen pinkeln!
                Der Urin wird dann über eine für den Benutzer nicht sichtbare Trennöffnung, die soge-
                nannte Urine Trap, abgeführt und über ein eigenes Abwasserrohr für die weitere Verwen-
                dung abgeleitet – etwa in die hauseigene Aufbereitungsanlage im Keller. Für den Geruchs-
                verschluss sorgt ein Urin-Siphon, der speziell für diesen Zweck von Laufen entwickelt
                wurde. Das Wasser des Spülvorgangs wird hingegen in den normalen Ablauf geführt, wo                                       Grafik: EOOS; Foto: Laufen
                auch Feststoffe und Fremdkörper landen. In der Praxis gelingt es, durch diese Technik bis
                zu 80 Prozent des Urins zusammen mit einer geringen Verdünnung zu separieren. Um


                                                                                                                             AIT 7/8.2019  •  137
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