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Entwurf • Design bergmeisterwolf, IT-Brixen
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                                                                           Standort • Location Pichl 15, IT-Jenesien
                                                                           Nutzfläche • Floor space 3.500 m 2
                                                                           Fotos • Photos Gustav Willeit, mail@guworld.com
                                                                           Mehr Infos auf Seite • More infos on page 134












































             Holz, Stahl, Filzstoff, Lack, Kunstlicht, Natur, Sonne • Wood, steel, felt, varnish, artificial light, nature, sun  Sorgfältige Farbauswahl, diverse Oberflächentexturen • Careful colour selection, diverse surface textures


             von • by Stephan Faulhaber
             K  2003 ein zweiter Gebäudeteil. Als der Raum auch hier der großen Nachfrage nicht  nachempfunden, umhüllt den „glühenden Draht“. Die Lichtfarbe der eingesetzten LED-
                napp ein Jahrhundert lang existiert das Hotel. Auf den Altbau mit 35 Zimmern folgte
                                                                           Glühbirnen beträgt 2200 Kelvin – Flammenweiß. Kaum verwunderlich, welch wohlige At-
             mehr gerecht wurde, entschied sich das Bauherrenehepaar 2014 für 50 weitere Suiten  mosphäre die Lichtfarbe hervorruft. Viele kleine Lichtpunkte, ähnlich dem Kerzenlicht.
             und lud fünf einheimische Architekturbüros zum Wettbewerb ein. Michaela Wolf und  Zum Ursprung: Vor Licht, Farbe und Raum stand im Entwurfsprozess die Form. In der
             Gerd Bergmeister aus Brixen überzeugten mit ihrem Erweiterungsbau „in den Schichten“.   Wettbewerbsphase erschien das Architektenduo in Wanderschuhen und machte kein Ge-
                                                                           heimnis daraus, sich mehr für die Topographie als für die Bestandsarchitektur zu interes-
             Beleuchtungskonzept: Schlichter Aufbau, prächtige Wirkung     sieren. Um es im Wortlaut der Wettbewerbsgewinner zu halten: „Nicht an einem Ort
                                                                           sollst du bauen, sondern den Ort sollst du bauen.“ Die Architektur von bergmeisterwolf
             Der Entwurf der unikalen und dekorativen Beleuchtung entstand in enger Zusammenar-  ist bekannt dafür, in Form simpler Kubaturen mit ihrer unmittelbaren Umgebung in den
             beit mit Lichtstudio Eisenkeil; mehr als ein Beleuchtungsgeschäft: In der hauseigenen Ma-  Dialog zu treten und mit ihr zu interagieren. Am Waldrand, auf einem felsigen Hanggrund-
             nufaktur in Venezien entstanden die Sonderanfertigungen für das Hotel. In ihrer feinen  stück gelegen, ist der Grundriss des Gebäudes – der Bergform folgend – von runder Ge-
             Verarbeitung wirkt die Beleuchtung sehr edel und ist weit entfernt vom Pseudo-Vintage-  stalt. Eine Art Remodellierung des Geländes; Verschmelzung von Kunstgriff und Natur.
             Look, den man allerorten antrifft. Wenig komplex, sehr präzise! Von der Stehlampe bis  „Form follows Nature“. Doch nicht nur in der Formsprache, auch in der Materialität fügt
             zur Deckenleuchte wurden schlichte Konstruktionen aus Natureisen gefertigt und in den  sich die Architektur nahtlos dem Ort. Zuschlagstoffe aus lokalem Gestein wurden dem
             gewünschten Farbton gespritzt. Das Glühlampengewinde könnte herkömmlicher nicht  Beton beigemischt und verleihen ihm die rötliche Erscheinung. Nicht nur dem umgeben-
             sein: E27 – der Sockeldurchmesser schlechthin. Vielmehr ist es die Gesamtkomposition  den Porphyr – altgriechisch für Purpurfarbe –, sondern auch seinem eigenen Namen
             der Architektur und des Interieurs, die das Gebäude auszeichnet. Die sorgfältige Farbaus-  macht das Hotel Belvedere alle Ehre. Bel vedere: Schöne Aussicht! Das tiefer liegende Tal
             wahl, die Verwendung verschiedener Wandstrukturen, von feinkörnigen sandgestrahlten  eröffnet den weiten Rundumblick in Richtung der Dolomiten. Eine Reihe von überstehen-
             bis hin zu rauen Texturen, steigert die sensible Erfahrung des Besuchers und erzeugt  den Stützen entlang der Fassade tut es den Baumstämmen gleich, rhythmisiert die Hori-
             selbst im Parkhaus eine bestechende Atmosphäre. Insgesamt 46 Deckenleuchten strahlen  zontale und – je nach Blickrichtung – löst den Wald auf oder leitet ihn gebührend ein.
             hier gülden auf die sonst sehr kühlen Oberflächen. Warmes Licht als Ergänzung zum  Neben den Suiten befindet sich das oberirdische zweigeschossige Parkhaus, das, als voll-
             nackten Beton. Mit einem Durchmesser von 30 Zentimetern rahmt das gebogene Natur-  wertiger Bestandteil des Entwurfs, das Gebäude selbstbewusst verlängert. Mit großflächi-
             eisen die jeweils vier integrierten E27-Leuchtmittel. Ohne sichtbare Schrauben. Außen  gen Öffnungen für spannende Ein- und Ausblicke. Die Garage nutzt die Morphologie des
             Schwarzrot RAL 3007 und auf der Innenseite Gold, dient der Leuchtenschirm einer opti-  Hanges und ermöglicht den direkten Zugang beider Ebenen. Ihrer Philosophie, der rück-
             malen Reflexion des warmen Lichts. Geschliffenes Glas, einem klassischen Whiskyglas  sichtsvollen Begegnung von Gebautem und Landschaft, wurden bergmeisterwolf gerecht.

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