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Jessica Borchardt


                                                                    1997–2000 Mitarbeit am Institut für Baugestaltung unter Prof. Meinhardt von Gerken 2000 DAAD-Stipendium,
      Foto: Heike Kölbl                                             Tsingshua Universität Peking, Lavespreis Stipendium Hannover 2001–2005 Mitarbeit im Architekturbüro GMP,
                                                                    Hamburg 2005 Bürogründung in Hamburg seit 2011 Jurytätigkeit bei Wettbewerbsentscheidungen



       BAID aus Hamburg


       Beruf(ung) und Familie erfolgreich unter einen Hut zu kriegen, ist in der modernen  uns bei der Einstellung und Verteilung der Aufgaben lediglich an der Eignung und den
       Arbeitswelt – und in der Architekturbranche erst recht – noch immer keine Selbstver-  individuellen Interessen unserer Bewerberinnen und Bewerber.
       ständlichkeit. Oft fällt die Entscheidung notgedrungen für das eine und gegen das
       andere, oft für einen mehr oder minder zufriedenstellenden Kompromiss. Eine,  Sie haben zwei Kinder. Als Sie 2005 Ihr Büro eröffneten, war Ihr zweites Kind gerade
       die beides geschafft hat, ist Jessica Borchardt. Dass sie Multitasking-fähig ist, hat  erst geboren, das erste war noch nicht einmal zwei Jahre alt. Wie haben Sie Büro-
       die Hamburger Architektin hinlänglich bewiesen. 2005 ging sie zeitlich parallel  gründung und Familie zeitgleich gestemmt?
       ihre Familien- und Bürogründung an. Ihre beiden Kinder sind heute „aus dem  In erster Linie gelang dies, weil ich es wollte. Eine gehörige Portion Ehrgeiz, das Glück
       Gröbsten“ heraus, ihr Büro ist auf mehr als 30 Mitarbeiter gewachsen. Wie das  einer guten Partnerschaft und großartige Bauherren haben mir das ermöglicht. Unsere
       geht? Klingt eigentlich ganz simpel: „Du musst es unbedingt wollen!“  Kinder saßen bei Besprechungen auch schon mal auf dem Schoß eines Bauherrn oder
                                                                    haben im Büro gespielt. Das hat weder den Kindern noch den Projekten geschadet. Auf-
       Frau Borchardt, Sie führen seit 16 Jahren das Büro BAID in Hamburg, mit mittler-  fallend ist, dass diese Frage nach der Parallelität von Bürogründung und Familie Männern
       weile 30 Angestellten. BAID steht dabei für die Initialen Borchardt, Architektur, In-  nie gestellt wird. Darin spiegelt sich wohl auch heute noch die gesellschaftliche Akzep-
       terior und Design und für eine ganzheitliche Planung und Realisierung von Gebäu-  tanz von Müttern als Unternehmerinnen wider.
       den bis hin zur Innenraumgestaltung. Wie hoch ist der Frauenanteil in Ihrem Büro
       und wie viele davon haben Führungspositionen?                Die Architektur- und Baubranche ist noch immer eine ausgesprochene Männerdo-
       Mit einem leichten Überhang an Architektinnen sind wir gewissermaßen der Statistik  mäne. Wie begegnet man Ihnen als Frau auf der Baustelle?
       ein Stück voraus. Der Frauenanteil in unserem Beruf wächst zwar kontinuierlich, liegt  Selbstverständlich herrscht auf einer Baustelle ein anderer Ton als im Büro. Kennt man
       derzeit aber immer noch bei nur gut einem Drittel. Dies spiegelt sich, trotz unserer fla-  jedoch die Klaviatur, wird einem auch dort mit Respekt begegnet. Ich selbst habe damit
       chen hierarchischen Strukturen, auch bei der Besetzung unserer Führungspositionen  noch in keinem Fall Probleme gehabt. Egal ob Frau oder Mann – allzu sensibel sollte man
       wider. Wir setzen diese Verhältnismäßigkeiten nicht aktiv durch, sondern orientieren  auf der Baustelle nicht sein.



       Wohngebäude Warburgstraße in Hamburg mit translozierter, historischer Straßenfassade   Durch Nachverdichtung entstehen 42 barrierefreie Stadtwohnungen unterschiedlichen Zuschnitts.




























                                                                                                                                Fotos Martin Haag
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