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Jörg und Du, Ihr war zeitlebens ein perfekt eingespieltes Team in gleichberechtigter
        Partnerschaft, in beruflicher wie in familiärer Hinsicht. Wie entwickelte sich das?
        Nach dem Diplom 1952 arbeiteten wir beide angestellt in Stuttgarter Büros, Jörg bei
        Holstein & Frowein, ich bei Marohn Architekten. Aber schon 1951 planten wir die er-
        sten Einfamilienhäuser gemeinsam, es gab ein Gartenzimmer im Untergeschoss des el-
        terlichen Hauses, dort gründeten wir quasi auf dem zweiten Gleis unser Büro. Wir fin-
        gen an, bei Wettbewerben mitzumachen, gewannen sogar ab und an einen Ankauf.

        Wie darf man sich Eure Wohnsituation in diesem Haus in den 1950-ern vorstellen?
        Ihr wart ja Eurer Zeit mit Eurem Arbeits- und Lebensentwurf weit voraus.
        Meine Eltern wohnten im Obergeschoss, meine Schwester im Erdgeschoss, wir im Dach-
        geschoss. 1957 kam unsere Tochter Petra, Tochter Viola folgte bald – noch wohnten wir
        im Dach. Beruf und Familie ließ sich vereinbaren, ich hatte familiäre Unterstützung und
        eine Kinder- und Haushaltshilfe. Das waren glückliche Umstände. Als meine Schwester
        auszog, bekamen wird mit Tochter Julia das Erdgeschoss. 1961 wurde das Dachge-  1947: Pause mit Komillitonen am Killesberg, ganz rechts Jörg Kiefner
        schoss unser Büro. 1957 kam mit dem „Salamanderhaus“ in Freiburg der erste größere
        Auftrag, 1968 gewannen wir den eingeladenen Wettbewerb für das Literaturarchiv in
        Marbach. Das war dann schon ein beachtlicher Erfolg, wir konnten uns gegenüber Wett-  Diele im Wohnhaus der Eltern
        streitern wie Rolf Gutbrod und Manfred Lehmbruck durchsetzen. Hans Scharoun hatte
        den Juryvorsitz.
        Das 1973 eingeweihte Literaturarchiv Marbach ist ein markanter Bau des „Béton
        Brut“ und wurde 2018 als Denkmal eingestuft. Wie gelang eine so stimmige ge-
        meinsame Handschrift?
        Ja, wir haben immer im Austausch und der Diskussion eine gemeinsame Lösung gefun-
        den. Nur bei der Einfamilienhausplanung konnte es passieren, dass sich die Bauherrin-
        nen! für den Vorschlag des Herrn Architekten! entschieden, er war eben ein attraktiver
        Mann …

        Lissi, Du hast neben Deines beruflichen Erfolges zusammen mit deinem Mann drei
        wunderbare starke Töchter großgezogen, eine Architektin, eine Künstlerin und eine
        Grafikerin… ein wahrlich geglückter Lebensentwurf! Neben der Prise Glück und Per-
        sönlichkeit, die dazugehört, bist Du aus meiner Perspektive auch einfach den „rich-
        tigen“ Männern begegnet. Männer, für die Gleichberechtigung von „Frau Architekt“
        eine Selbstverständlichkeit ist.


                     Die Fragen stellte Daniela Keck, Architekturjournalistin, Stuttgart


        1952: mit Töchtern im Dachgeschoss-Büro                      1950: Erdgeschoss Wohnhaus der Eltern


























                                                                                                                      AIT 6.2021  •  013
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