Page 1 - AIT0621_Interviews
P. 1
Foto: Familie Kiefner/Elisabeth und Jörg Kiefner Elisabeth Kiefner
1925 geboren in Stuttgart 1946–52 Architekturstudium Uni Stuttgart 1950 Planung 1. Einfamilienhaus 1951 Diplom,
Marohn Architekten, Stuttgart; erste selbstständige Planungen 1954 Heirat mit Jörg Kiefner 1957/59/63 Geburten der
1951: Baustelle am Botnanger Sattel Töchter 1957 Salamanderhaus Freiburg 1968 Wettbewerb Literaturarchiv Marbach 1973 Einweihung Literaturarchiv
Elisabeth Kiefner aus Stuttgart
Elisabeth Kiefner, auch liebevoll „Lissi“ genannt, fasziniert durch ihren Esprit, ihre Holzhäuser der Kochenhofsiedlung in Stuttgart, die unter Schmitthenners Leitung in nur
Lebendigkeit, ihr Wissen, ihre Erfahrung, ihre Ausstrahlung, ihren Stil … kaum zu wenigen Monaten 1933 erstellt wurden.
glauben, dass diese Stuttgarter Architektin 95 Jahre alt ist. Man fragt sich, worin das
Geheimnis dieser erfolgreichen Berufs- und Familienbiographie liegt, die in dieser Kannst Du Dich an den auslösenden Moment erinnern, an dem sich Deine Leiden-
Form selbst heute nur wenigen Architektinnen gelingt. Vor 75 Jahren hat sie sich als schaft für Architektur entfachte?
eine von acht Frauen unter 292 Männern für Architektur an der Universität Stuttgart Ja, das war die Begegnung mit Prof. Adolf Schneck, dem Rektor der Staatlichen Kunst-
eingeschrieben. Das entspricht einem Anteil von 2,7 Prozent, 2016 waren 58 Pro- akademie am Weißenhof. Technische Hochschule und Akademie waren ja in dieser
zent der Studierenden Frauen. Das für die Einschreibung notwendige Baupraktikum Phase im gleichen Gebäude untergebracht. Er ermutigte mich, ich solle durchhalten,
wurde zwischen Trümmern absolviert – Ziegelsteine aussortieren und säubern. das „Entwerfen“ würde ja jetzt erst im Hauptstudium kommen. Im Übrigen hätte er eine
Tochter, der es gleich erging und sie sei jetzt Architektin. Ich habe dann bei ihm das
Lissi, wo und wie hast Du Deine Kindheit und Jugend verbracht? Wahlfach „Innenarchitektur“ belegt und das Feuer war entfacht.
Als ich zehn Jahre alt war, also 1935, wurde mein Vater als Bundesbahnbeamter von
Stuttgart nach Essen strafversetzt, er weigerte sich bis zum Ende, in die Partei einzutre- Was waren die nächsten Meilensteine auf Deinem Weg?
ten. 1943 wurde Essen schwer bombardiert, mein letztes halbes Schuljahr verbrachte 1950 übertrugen meine Eltern mir die Planung für das Elternhaus in Stuttgart. Ich war
ich durch die Kinderlandverschickung bei Tábor in Böhmen, dort machte ich Abitur. noch mitten im Studium, aber für mich war klar, dass ich das mache und ein Jahr pau-
Nach einem halben Jahr Arbeitsdienst auf dem Feld folgte der Dienst in einem Lazarett siere. Das war auch die Zeit, als Jörg Kiefner (1922-2007) und ich ein Paar wurden. Wir
bei Prag. Auf der Lungenstation versorgte ich ohne jegliche Vorkenntnisse Schwerstver- kannten uns schon seit dem ersten Semester und waren befreundet, etwas später hat
letzte. Im März 1945 nahten die Russen und wir wurden „entlassen“. Die Familie sam- es gefunkt … Jörg hat dann die Bauleitung übernommen, er hatte zuvor sein Zwischen-
melte sich tröpfchenweise wieder im Umland von Stuttgart, in Essen waren wir „ausge- praktikum bei Döcker gemacht und hatte Praxiserfahrung.
bombt"..
Wie ist der Entwurf zu diesem Haus entstanden? Gab es „Entwurfsleitlinien“, denen
Und wie kamst Du dann zur Architektur? Wie hast Du Dein Studium empfunden? Du Dich verpflichtet fühltest?
Wurden Studentinnen anders behandelt als Studenten? Die Bauantragspläne hatten ein Satteldach vorgesehen, als wir dann auf der obersten
Eigentlich eine ganz pragmatische, nicht sehr leidenschaftliche Entscheidung, wir hatten Geschossplatte standen und die Aussicht erlebten, entschieden wir uns kurzerhand für
keine Architekten im näheren familiären Umkreis, ich hatte keine konkrete Vorstellung ein Pultdach. Das sorgte für etwas Unruhe auf dem Baurechtsamt und der Bau wurde
davon, was mich erwartet. Meine Kunstlehrerin in der Schule in Böhmen empfahl mir vorerst eingestellt. Mein Vater half uns glücklicherweise vermittelnd aus der Bredouille.
Architektur, ich war gut in Mathe und konnte „gut zeichnen“.
Aus heutiger Sicht eine sehr fortschrittliche Berufsberatung - war doch zu dieser Zeit Literaturarchiv Marbach 1973
der Architektenberuf noch stärker den augenscheinlich männlichen Attributen, wie
Führungskraft und Durchsetzungsvermögen zugeschrieben. Wie hast Du es im Stu-
dium empfunden? Wurden Studentinnen anders behandelt als Studenten?
Nach meinem Empfinden wurde mit uns gleich umgegangen, es gab keine Unter-
schiede, vielleicht hatten manche Studentinnen einen Vorteil, wenn sie dem Professor
gefielen …
Wie kann man sich ein Architekturstudium direkt nach dem Krieg vorstellen?
Es gab keine Unterrichtsmaterialien, Bücher, Zeitschriften … es wurde abgezeichnet, ab-
gezeichnet, abgezeichnet … meist stand man vor den zu kopierenden Plänen in dritter
oder vierter Reihe, alles doch sehr mühselig und etwas stupide, eigentlich hatte ich mir
etwas anderes vorgestellt.
Gab es für Dich bedeutende Lehrmeister?
Zu diesem Zeitpunkt noch nicht, die Lehrenden waren meist ehemalige Assistenten von Foto: Hendrik Bohle
Paul Schmitthenner. Unsere ersten Entwürfe sahen letztlich aus wie die spitzgiebeligen
012 • AIT 6.2021