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Dr. Oliver Herwig
Foto: Marian Wilhelm, München Freier Journalist und Moderator in München, unterrichtet(e) Designtheorie an den Hochschulen Basel, Karlsruhe und Linz 1999 Stipendiat des Internationalen Journalistenprogramms Groß-
britannien und Gastredakteur bei wallpaper* 2000 Karl-Theodor-Vogel-Preis für herausragende Technik-Publizistik 2002 Stipendiat des VCCA (Virginia Center for the Creative Arts, USA) 2007
Stipendiat des LKV (Lademoen Artists’ Workshop) in Trondheim/Norwegen 2009 COR-Journalistenpreis „Wohnen und Design 2009“ seit 2018 mit Andreas Grosz Leiter des KAP Forum
Einfachheit, eine sophisticated simplicity, die oft betont lässig daherkommt. Höchster Blick für das, was wir als schön empfinden und als normal. Früher galt eine Psycho-
Komfort, der meist erst auf den zweiten Blick zu spüren ist – etwa durch Dolby-Sur- logie des Erwerbs. Der Urlaub wurde durch Souvenirs in den Alltag eingewoben.
round-Klang auch im Bad und punktgenaue Lichtsteuerung im Gang –, sowie eine Vor- Durch echte Dinge. Ausgerechnet Magnete sind zur Nummer eins der beliebtesten Sou-
liebe für gut gestaltete Dinge, oder sollten wir lieber sagen: Design. In der Summe ist venirs aufgestiegen, noch vor Kunsthandwerk, Schlüsselanhängern und „landestypi-
das nicht nur ein Einrichtungsstil, das ist eine Lebenshaltung, die sich Bahn bricht. Wir schen Kleidungsstücken“, sagt eine aktuelle Statistik (Statista). Dazu kommen diverse
sind beweglich, wir haben Geschmack, und wir können uns etwas leisten. Das ist Trash-Souvenirs – das Eiffeltürmchen, die Schneekugel mit dem Matterhorn – sowie
wohl die „Transformation Economy“, von der B. Joseph Pine II und James H. Gilmore Alkohol. Was aber bleibt, wenn der letzte Ramazotti, Burgunder oder Limoncello ge-
schreiben. Ihre These: Wir kaufen Glücks-Erfahrungen, da wir alles andere bereits be- lehrt ist, die Magneten angeklebt und die Lieben daheim mit Pasta, Billig-Sonnenbril-
sitzen. Und diese Erfahrungen machen wir weniger im Alltag, sondern bevorzugt auf len und Sandalen versorgt sind? Dann kehrt die Sehnsucht zurück und das Kopfkino
Reisen. Und darin sind Mitteleuropäer geübt. beginnt. Weißt du noch: Das Zimmer über den Klippen? Die Brise, die durch die Ein-
gangshalle wehte? Die Lobby mit Blick auf Palmen? 2017 waren über 54 Millionen Deut-
Glücksmomente der Lässigkeit sche unterwegs, sie gaben insgesamt 73,4 Milliarden Euro aus, etwas über 1.000 Euro
pro Person und Reise (Statista). Wir investieren in Erlebnisse und Bilder, auch, weil
Zugegeben, zu meinen persönlichen Glücksmomenten in letzter Zeit zählt ein B&B mit jeder Urlaub in den sozialen Netzwerken nachweht. Da ein Instagram-Bild, dort ein
Blick über die Felsenküste von Polignano a Mare. Die Dünung, die kühle Brise, die fri- flotter Tweet, und auf Handy und Rechner Gigabytes an Daten. Bilder sind zur härte-
sche Luft in einem Raum, der im Grunde nur aus einem Bett bestand und einer hohen sten Status-Währung geworden. Mit ihnen einher geht die Veränderung des Heims. Das
Decke. Der Schrank war ein geschmiedeter Winkel, an dem die Kleider baumelten, Leichte, Luftige der Freizeit schwappt in den Alltag – mit lichten Stoffen, leichtem Mo-
alles andere verschwand in einem Container, der irgendwie ins Bett überging. Mehr biliar, hellen Farben und perfekter Technik. Letztlich geht es um Atmosphären.
Möbel brauchte es nicht. So lässig könnte es auch daheim zugehen. Der Luxus der Ein-
fachheit, befeuert durch einige Tage am Meer. Eine Untersuchung der Boston Consul- Wohnen nach dem Plug-and-Play-Prinzip
ting Group von 2014 belegt, dass von den 1,8 Billiarden Dollar fast 55 Prozent für Lu-
xuserfahrungen ausgegeben wurden. Das sind oft auch Blaupausen für das eigene Sind Hotels der neue Maßstab der Innenarchitektur? Ganz sicher, da sich unsere Vor-
Leben. Besonders einem Magazin darf man es zuschreiben, dass sich die halbe Welt stellung vom Wohnen gerade verändert. In der Kombination von gut gestaltetem Inte-
zwischen Kakao und Perlmutt eingerichtet hat: Der wallpaper*-Stil aus den 1990er-Jah- rieur und makellosem Service öffnet sich ein Markt, der die Grenzen verschwimmen
ren ist inzwischen ubiquitär und schwappt über Reisen zurück ins Wohnzimmer. „Ob lässt zwischen dem Standard-Hotelzimmer alter Prägung, ultra-individuellem Airbnb
Braun, Grün, Ocker oder Senf – in Kombination mit natürlichen Materialien wie Wolle, und dem eigenen Heim. Das „Serviced Apartment“ bietet Langzeitübernachtung mit
Samt oder Naturholz kann man mit den Farben eine behagliche Atmosphäre schaffen, den Vorzügen des Hotels (Wäsche, Reinigung, Anonymität) und den Vorteilen des ei-
die gut zur kalten Jahreszeit passt“, sagt Dagmar Haas-Pilwat auf RP-Online, der Web- genen Heims (individuell, gemütlich, echter Rückzugsort). Der Anteil dieser Kategorie
Ausgabe der Rheinischen Post. Das klingt tatsächlich so, als ob hier ein Hotel Pate am deutschen Hotelmarkt liegt bei gerade drei Prozent, berichtet die „Allgemeine
stand. Eines wie der Bayerische Hof in München. „Süddeutsche“-Autor Franz Kotteder Hotel- und Gastronomiezeitung“, ihr wird aber ein großes Wachstumspotenzial zuge-
beschreibt die 15.000-Euro-Suite des Hauses wie folgt: Designer Alex Vervoordt setze sagt. An gleicher Stelle prognostiziert Zukunftsforscher Stephan Jung, dass die Gene-
„auf gedämpfte Farben zwischen Beige und Grau und arbeitet viel mit Naturmateria- ration Y rund 17-mal den Job wechseln und 15-mal umziehen werde. Da müsse „Um-
lien, Stein und Holz. Auch Holzmöbel scheint er zu lieben, die ein bisschen so ausse- ziehen und Wohnen nach dem Plug-and-play-Prinzip“ funktionieren. Viel bemerkens-
hen, als wären sie aus Wracks jahrhundertealter, gesunkener Galeonen geborgen wor- werter also ist, wie wir als Dauerreisende unsere Vorstellungen vom Heim verändern.
den“. Und dann zitiert der Journalist den Amsterdamer Innendesigner Vervoordt, des- Die Bildwelten bewegen sich zwischen ostentativer Lässigkeit, unsichtbarem Komfort
sen Ziel es sei, „Frieden zu erzeugen. Die Leute sollen in dieser aufgeregten Großstadt und Service, der uns Wünsche von den Augen abliest. Das heißt Rundumversorgung,
in ihrem Hotel die Ruhe entdecken“. Naturnahe Materialien seien dafür gut geeignet. wie es sie früher nur bei Mama gab – ohne erhobenen Zeigefinger, womöglich dafür
Solche Natur-Kultur findet sich in den verschiedensten Facetten. Es muss nicht einmal mit Butler und Chauffeurservice. In Hamburg baute Xing-Gründer Lars Hinrichs das
ein Luxusresort sein, selbst preiswerte Übernachtungsmöglichkeiten wie MotelOne „Apartimentum“, ein hoch vernetztes Leben und Wohnen für die Expats unserer Zeit.
zeigen in ihrer klugen Kombination aus Design und gnadenloser Reduktion, dass man Hinrichs vermietet „Kubikmeter Lebensqualität“. Das personalisierte Hotel zeigt, wie
durchaus im Hotelzimmer und der Hotellounge mit ihren Sitzinseln leben kann, wobei flexibel wir beim Zuhause geworden sind. Hier arbeiten und dort wohnen. Multiloka-
vor allem Arne Jacobsens Egg Chair zum Markenzeichen der Kette geworden ist. Dazu lität nennen das Soziologen, wenn immer mehr Menschen zugleich mehrere Wohnorte
kommt zumeist eine bequeme Ledersofalandschaft. Stefan Lenze, Geschäftsführer und haben, und zwar nicht nur Ingenieure mit Wohnung in Bern und Arbeitsort Basel, son-
Head of Development bestätigt die Entwicklung: „Unser Design wird immer individu- dern auch Handwerker in Sachsen, die am Flughafen Berlin arbeiten. In manchen Me-
eller, künstlerischer, luxuriöser und damit auch der Erlebnisfaktor.“ tropolen leben gerade noch 18 Prozent der Haushalte in klassischen Familien. Alle an-
deren werkeln als atomisierte Arbeiter der Generation Easyjet. Wir können inzwischen
Bilder als ultimative Statusanzeige auf Bibliotheken ebenso verzichten wie auf Schrankwände, aber nicht auf Steckdosen
und WLAN. Heute ist Wohnen Breitband plus Elektrifizierung der ganzen Welt. Es
In Ordnung, was aber hat all das mit dem ganz normalen Wohnen zu tun? Wir sind stimmt. Wer einmal loszieht, kehrt verändert zurück. Und weil wir immer öfter und
eben immer öfter auf Achse. Eigentlich dauernd. Geschäftlich oder einfach mal den weiter verreisen, ist es bald nicht mehr leicht zu sagen, wo wir genau stehen bei der
Weekender über die Schulter geworfen und ab zum Flughafen. Dieses Gefühl Veränderung. Eines jedenfalls scheint sicher. Wir wohnen immer öfter an immer mehr
schwappt zurück in die eigenen vier Wände. Und mit ihm die Bilder, die wir selbst po- Orten. Und die können dann ruhig so aussehen wie ein Serviced Apartment. Haupt-
sten oder auf Instagram und anderen Plattformen finden. Ihre Dauerpräsenz prägt den sache, der Empfang stimmt. Im Original am 13.11.2018 publiziert im IKEA-Digitalmagazin lifeathome.ch
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