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Entwurf • Design Behnisch Architekten, Stuttgart
Stefan Behnisch Projektleiterin • Project head Effi Schneider →
Bauherr • Client privat
1957 in Stuttgart geboren 1976–79 Studium der Philosophie, München 1979–87 Studium der Architektur, Karlsruhe 1987–89 Mitarbeit Fertigstellung • Completion November 2014
Beh nisch & Partner, Stuttgart 1989 Gründung des Zweigbüros Behnisch & Partner, Büro Innenstadt 1991 Zweigbüro wird unabhängig seit Nutzfläche • Floor space 185 m 2
2005 Firmierung als Behnisch Architekten, Stuttgart 2006 Gründung Bürostandort Boston 2009 Gründung Bürostandort München Fotos • Photos David Matthiessen, Stuttgart
Das neue Geschoss ist als offener Grundriss gestaltet, der durch „Boxen“ zoniert wird und mit einer gläsernen Hülle umschlossen ist. • The level is designed as an open layout structured with “boxes” and enclosed by a glass envelope.
D ie Bauherren sind gute F reunde. Wir haben als Architekten also g egen die eiserne solaranlage und im gesamten Haus kam LED-Beleuchtung zum Einsatz. Das Erdgeschoss
wurde behutsam umgebaut, jedoch weitgehend in seiner Aufteilung erhalten. Dies erfor-
Regel verstoßen, wonach man nicht für gute Freunde arbeiten sollte. Und auch die
goldene Regel, niemals für einen Anwalt zu planen, haben wir gebrochen. Jedoch ist hier derte im Bauablauf gewisse Schutzmaßnahmen, da die Dec ke über dem Er dgeschoss
das Vertrauen a ller Be teiligten so gr oß g ewesen – wir kennen uns sc hon Jahre, sind abgenommen und dur ch eine Hol zdecke ersetzt wurde. Unter diese Hol zdecke wurde
befreundet und verbringen unseren Urlaub gemeinsam –, dass wir meinten, alle diese gol- dann eine Hei z- und Kühldecke abgehängt. Im Ob ergeschoss sind ein Hei z- und Kühl -
denen Regeln unserer Profession ignorieren zu können. Konkret ging es um eine b essere boden sowie eine abgehängte Heiz- und Kühldecke montiert. Als Sonnenschutz wählten
Nutzung des Ob ergeschosses eines sc hönen und g emütlichen Satteldac hhauses. Der wir wiederum ein aufrollbares Kettengewebesystem, das einen Blick nach draußen noch
Ausblick über die Stadt von hier ist fantastisch. Aus den vorhandenen Gauben konnte die- zulässt, jedoch den notwendigen Sonnenschutz gewährleistet. Für nachts, wenn der Blick
ser Blick aber nie so richtig genossen werden. Auch technisch und energetisch sollte das eher von auß en nac h innen g eht, sind hier gr oßzügige Vorhänge ang eordnet. Im
Haus auf den heutigen Stand gebracht werden. Nach einigen Überlegungen und Skizzen Obergeschoss wurden ein Bür o und ein Sc hlafzimmer vorgesehen. Von hier geht man
war man sich sehr schnell im Klaren, dass man dieses Haus nicht im ursprünglichen Stil dann über eine außen liegende Treppe hoch zur Dachterrasse, die in ihr er Form nicht
ergänzen durfte, sondern dass etwas völlig Fremdes, Anderes auf dem Erdgeschoss „lan- dem darunterliegenden Geschoss folgt, sondern in freier Form gestaltet ist.
den“ sollte. Es wurde eine verglaste, formal recht schlichte Box skizziert, die leicht verscho-
ben auf dem Bestand sitzen sollte. Auch war es der Wunsch der Familie gewesen, auf dem Von der Papierserviettenskizze in die Realität
Dach eine großzügige Terrasse anzuordnen, die einen freien Blick über Stuttgart erlaubt.
Für uns als Architekten ist dieses Gebäude eines der wenigen Beispiele, bei denen man
Schwieriger Baugrund und rigide Bebauungspläne sich zu Beginn in der Diskussion mit den Bauherren sehr schnell über das Konzept einigt.
Es war nahezu die berühmte „Papierserviettenskizze“, die es in der Realität nie gibt! Und
So begannen wir, an die ser Lösung zu arbeiten. Effi Schneider, die P rojektarchitektin, von hier aus konnte recht linear – abgesehen von den Klippen der Genehmigung – gear-
setzte sich mit dieser Aufgabe hervorragend auseinander. Nach Rücksprachen mit den beitet und das P rojekt umgesetzt werden. Wir sind gerne dort, um unser e Freunde zu
Genehmigungsbehörden stellten wir jedoch schnell fest, dass in Stuttgart alles leider besuchen und den Ausblick zu genießen. Es scheint auch von der Familie gut angenom-
nicht so einfach ist, wie man es sich wünschte. Die Halbhöhenlage in Stuttgart ist sensi- men zu werden. Man sc heint bis auf die übli chen – leider üblic hen – tec hnischen
bel, die Bebauungspläne sind r igide und die Bewegungsmö glichkeiten – außer man ist Probleme in den er sten Jahren zufrieden zu sein. Der unterschiedliche Charakter des
ein kommerzieller Entwickler – r elativ g ering. Nichtsdestotrotz g elang es uns, die ur - Bestandes im Erd- und Untergeschoss und der neuen Situation i m Obergeschoss bildet
sprüngliche Ide e weitgehend um- und dur chzusetzen. Es gab ledi glich sta tische Ein - einen großen Reiz. Der Versuch, keine Einheit zu bilden, sondern eher die Unterschiede
schrän kungen, da der Baugrund nicht sehr tragfähig ist. So war die Vorgabe, dass der Er - zwischen dem Alten und Neuen h erauszuarbeiten, war ein Erf olg. Der Versuchung zu
wei terungsbau auf dem Dach nur geringfügig schwerer sein durfte als das bisherige Sat - widerstehen, alles auf Linie zu bringen, das Alte und Neue in seiner Geometrie millime-
teldach. Wir entschieden uns deshalb für eine vorgefertigte Holzkonstruktion, die leicht tergenau abzustimmen, hatte sich als richtig erwiesen. Das Alte ist das Alte, es ist schwer,
versetzt auf dem Erdgeschoss ruhen sollte. Darüber hinaus wünschte man ergänzend zu es ist steinern und das Neue ist eine leichte Holz-Glas-Box, die versetzt auf dem Bestand
der bisherigen Gasheizung eine Geother mieanlage, die die Hei zleistung der bisherigen aufliegt. Eben nirgends so ganz genau passt und sich losgerüttelt hat. Wir sind den Auf -
Gasanlage unterstützen und im Idealfall kompensieren und zusätzlich in freier Kühlung traggebern sehr dankbar für die gute Zusammenarbeit. Keine Mittelsperson, kein Projekt -
im Sommer die notwendigen Temperaturen für das Ober- und Erdgeschoss garantieren steuerer wurde eingeschaltet und das Planungsteam auf das Notwendige reduziert. Alles
sollte. Neben der erläuterten Geothermieanlage wurde überall auf den Einsatz zeitgemä- wurde direkt mit denjen igen abgestimmt, die ja let ztendlich mit dem Er gebnis leben
ßer Technologien g eachtet. So entstand auf dem Dac h des Vorbaus eine Thermo - müs sen. Nach wie vor verbringen wir gemeinsam Urlaube.
AIT 3.2016 • 135