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VERKAUF UND PRÄSENTATION • RETAIL AND PRESENTATION

































            MESSE-LOUNGE

            IN MADRID



            Entwurf • Design Toni Gelabert, Javier Jiménez Iniesta, Gonzalo del Val, ES-Madrid


            Jedes Jahr schreibt die internationale Kunstmesse ARCO einen offe-
            nen Wettbewerb zur Gestaltung ihrer VIP-Lounge aus. Beim Sieger-
            entwurf zum 40-jährigen Jubiläum ist man wiederholt dazu verleitet,
            den Ausgang aufzusuchen: Mit „Salida“ lenkt einen der Neonlicht-
            Schriftzug ins Freie. Nach der langen Zeit im Lockdown stillen echte
            Bäume und Straßenmöbel das kollektive Verlangen nach Außenraum.



            von • by Stephan Faulhaber
            A   uf den fortdauernden Krisenzustand in der Coronavirus-Pandemie reagieren die spa-
                nischen Architekten Toni Gelabert, Javier Jiménez Iniesta und Gonzalo del Val mit
            einer erfrischend optimistischen und zugleich sicheren Antwort. Ihr Entwurf spielt mit der
            distanzierten Interaktion, die sich während der vergangenen zwei Jahre bei Begegnungen
            unter freiem Himmel global internalisierte: In einem Raster von drei auf drei Metern ma-
            terialisieren und markieren insgesamt 90 junge Birken den idealen Abstand, in dem den
            Sammlerinnen und Sammlern ein vollständiger Infektionsschutz gewährleistet ist. Buch-
            stäbliche Anhaltspunkte, die wechselnd in knalligem Rot, Orange und Gelb – den Warn-
            farben schlechthin – leuchten, strahlen dabei doch in paradoxer Weise eine äußerst un-
            aufdringliche Eleganz aus. Hinter dieser Farbchoreografie, dieser Illusion vom Außenraum
            im Innenraum, steckt eine szenografische Lichtinszenierung, die im 30-Minuten-Takt den
            Sonnenauf- und -untergang mimt. Eine monochrome und doch dynamische Atmosphäre,
            in der Untergrund, Mobiliar und Bepflanzung zu einer einzigen Landschaft verschmelzen.
            Anfangs lassen die Strahler die Sitzmöbel und den Teppich unverfälscht gelb erscheinen,
            dann legen sie allmählich einen roten Filter über die gesamte Fläche. Ob ihrer weißen
            Rinde reflektieren die Birken das einfallende „Sonnenlicht“ optimal und machen ihrem
            Namen, der sich aus dem indogermanischen Wort für „glänzend, schimmernd, leuch-
            tend“ herleitet, alle Ehre! Der ausnahmslos blaue Restaurantbereich setzt einen harten
            Farbkontrast und das Sujet der Einfarbigkeit bestimmt fort. Entgegen dem Wunsch des
            Veranstalters nach einer schwarzen Hülle hebt sich das weiße Äußere der VIP-Lounge
            farblich nicht von den übrigen Wänden der Messestände ab. Durch ihre 60 Zentimeter
            höhere Position äußert sich die Exklusivität der Plattform hinlänglich. Aus der Distanz
            wecken die hinter den Außenwänden in die Höhe ragenden Baumwipfel die Neugierde.
            Die Hinwendung zur Natur, der Rückzug in die Fantasie, eine gewisse Weltflucht ... mit
            seiner Lounge hat das Architektentrio ein begehbares Exponat geschaffen, das – zwischen
            all der Gegenwartskunst – die Poesie der Romantik zu neuem Leben erweckt.

            060 •  AIT 1/2.2022
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