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Studien zufolge erhöhen Schönheit und Attrak- Ebenso ist es wichtig, die Ausstrahlung nach Fragen an
tivität der direkten Arbeitsumgebung bei innen und außen zu verstärken und die Unter- Wencke
35 Prozent der Mitarbeiter*innen Arbeitsmoral nehmensvision erkennbar abzubilden. Auch
und Engagement. Flächenminimierung mit wenn zum Beispiel extrovertierte Mitarbeiter*- Katharina
maxi-mierter Funktionsstruktur ist immer noch innen andere Bedürfnisse an die Arbeitsumge- Schoger
ein Planungsziel, aber eben nur eins von vielen, bung haben als ihre introvertierten Kolleg*-
wenn wir bedenken, was wir von Bürofläche innen, weiß jeder aus eigener Erfahrung, wie Innenarchitektin bdia,
heute erwarten: Neben einem intelligenten und sehr das Erleben von Stimmigkeit, Zusammen- Berlin
effizie en Umgang mit Flächen und Funktio- hängen und Harmonie in Architektur und Raum
nen brauchen wir Helligkeit und Licht, Offen die Wahrnehmung vertieft, entspannt, konzen- Licht ist der Taktgeber - was
heit, Klarheit, Modernität, gute Proportionen, triert und zufrieden, produktiv und glücklich sollte man im Büro unbedingt
Flexibilität und Vielfalt, eine Vielzahl von Me- macht. vermeiden?
dien, Orte für Zusammenarbeit und konzen- Vermeiden sollten wir, zu lange
trierte Rückzugsbereiche, an denen wir uns Die Unternehmensidentität selbst ist der genau dort zu bleiben und still-
generationsübergreifend wohlfühlen. Schlüssel zur gestalterischen Einzigartigkeit. Wir zusitzen. Auch das beste Licht
animieren unsere Bauherren in einem kreativen entfaltet seine belebende Wir-
Untrennbar: Raum und Wohlbefinde Prozess, die eigene Identität und die eigenen kung erst zusammen mit Bewe-
Ziele zu reflektie en. Wenn Unternehmensin- gung und Sauerstoff
Wir wissen, dass wir ohne das richtige Licht halte baulich gespiegelt werden und ausstrah-
weder richtig wach und fokussiert noch produk- len, festigen und definie en sich Unternehmen Büros und der öffe tliche Raum
tiv sind. Licht ist sowohl ein elementares Gestal- authentisch. Die Originalität individueller Archi- leuchten im Dezember beson-
tungsmittel der Architektur als auch Auslöser tektur sichert einen hohen Wiedererkennungs- ders hell - ist das angesichts des
komplexer fotobiologischer Prozesse in unserem wert und verleiht der Selbstdarstellung starke steigenden Ressourcenver-
Körper. Das richtige Licht verbessert das Farb- Außenwirkung. brauchs noch vertretbar?
und Kontrastsehen, das räumliche Sehen, ent- Nur wenige können im Dunkeln
spannt die Augen und beugt Ermüdung vor. Jacques Tati zeigt in seinem grandiosen Film arbeiten. Licht am Arbeitsplatz
Licht ist der Taktgeber für unseren Biorhythmus. „Playtime“ von 1967, wie das moderne Leben ist unverzichtbar, unmittelbar
Er folgt der sich im Tagesverlauf verändernden den Einzelnen ständig in seltsame Verhaltens- daneben jedoch schon. Auch die
Lichtqualität und -intensität. Zu viel Licht und weisen zwingt und von anderen Menschen iso- symbolische Bedeutung von
zur falschen Zeit kann unserem Körper genauso liert. Am Ende finden dann aber doch alle Licht in den dunklen Monaten
schaden wie zu wenig davon. Und Helligkeit al- zueinander, gewinnen ihre Unbeschwertheit zu- vermag nicht über unsere syste-
Titelbild: Projekt Riemser Pharma, Greifswald. Büro: Reuter Schoger Architektur Innenarchitektur. Foto: Werner Huthmacher
lein reicht auch nicht aus, die Zusammenset- rück und erobern mit ihrer Lebensfreude den mische Maßlosigkeit hinwegzu-
zung des Lichtes ist ebenso entscheidend. Die modernen öffentlichen aum. täuschen. Raum braucht Licht,
Bedeutung des Lichtes am Arbeitsplatz und für Licht braucht Dunkelheit.
unsere Gesundheit wird besonders deutlich, Diese Umkehrung nimmt auch die Entwicklung
wenn wir die Verlängerung unserer täglichen vorweg, Arbeitszeit heute als sinnstiftende Le- Was könnten Unternehmen
Aufenthaltszeiten in geschlossenen Räumen benszeit zu verstehen. Arbeit soll neben der Si- noch besser machen, um gute
berücksichtigen: Nicht einmal mehr zehn Pro- cherung des Lebensunterhaltes Spaß machen, Arbeitsorte für ihre Mitarbei-
zent unserer Wachzeit verbringen wir noch soziale Interaktion beinhalten, persönliche ter*innen zu schaffen
unter freiem Himmel. Es mangelt uns daher Identifi ation und Möglichkeiten zur Selbstent- Gute Arbeitsorte geben sich
nicht nur an natürlichem Licht, sondern auch faltung bieten und als sinnvoll empfunden wer- durch hohe Motivation, Innovati-
an frischer, sauberer Luft. den können. Das braucht eben diese Räume: onsfreude, Verbundenheit,
individuell und einzigartig, offen, fl xibel, viel- Eigenverantwortlichkeit und Ef-
Analoger Ausgleich gegen das digitale Rauschen fältig, ebenso wie funktional und intelligent. fizienz zu er ennen. Bessere Ar-
beitsorte entstehen, wenn
Und es fehlt uns auch Bewegung. Im Gehen for- Wenn wir das Paradigma des stetigen Wirt- Unternehmen offen, respektvoll
men sich unsere Gedanken. Unser Körper ist für schaftswachstums hinterfragen, wird offen und wertschätzend mit allen
den aufrechten Gang konzipiert. Bis ins 19. Jahr- sichtlich, dass menschliches Wohlergehen, Mitarbeitenden die innenarchi-
hundert gingen Männer am Tag circa 19 Kilome- Gesundheit und soziale Zufriedenheit im Fokus tektonische Übersetzung des In-
ter zu Fuß, Frauen circa neun Kilometer. An unserer Wirtschaft stehen müssen: Die Zukunft newohnenden wagen.
guten Tagen gehen wir heute durchschnittlich gehört umweltbewussten, menschenfreundli-
nur noch 500 Meter. Wir verstehen Körper und chen und authentischen Unter nehmen.
Geist inzwischen als Einheit, trotzdem gehen wir
viel zu wenig und sitzen viel zu viel. Lange galt
ein Arbeitsplatz als ergonomisch perfekt, an Wencke Katharina Schoger, Innenarchitektin
dem wir mit minimaler Bewegung und mög- bdia, Büro Reuter Schoger Architektur Innenar-
lichst im Sitzen alles Notwendige erreichen chitektur, Berlin.
konnten. Nicht nur für die körperliche Gesund-
heit, für unsere Rücken und Gelenke ist die In- Der Artikel erschien ungekürzt im bdia Hand-
tegration von Bewegungsreizen in die Innen- buch Innenarchitektur 2019/20.
architektur wichtig. Es sind die Bewegung an
sich und der unerwartete, ungeplante infor-
melle Austausch im Irgendwo-Dazwischen, die
Impulse geben, uns auf neue Gedanken und auf
Lösungen bringen.
AIT 12.2019 • 155