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SERIEN STUDENTENARBEIT • STUDENT WORK
Alexander Lukas: Drei Predigten an die Damen und Herren Architekten
[...] Unsere Welt befindet sich im Umbruch. Wir stehen immer größer werdenden,
rasanten Ver än derungen gegenüber. Der Klimawandel wird auch in der Architektur
eine neue Sprache notwendig machen. Aber was könnte diese neue Sprache der
Architektur sein? Oder wie kann vielmehr in der heutigen Zeit gebaut werden, sodass
es nachhaltig, aber gleichzeitig schön ist? Dafür kommen vorerst drei Materialien in-
frage: Holz, Stein und Lehm. Alle drei sind nachwachsende Rohstoffe, die sich ohne
Probleme wieder in den ökologischen Kreislauf zurückführen lassen oder wiederver-
wendbar sind. Alle drei sind schöne Rohstoffe, die der Mensch seit Jahr tausenden
mithilfe des traditionellen Handwerks für den Bau von Häusern verwendet. Jedoch
haben diese Materialien auch ihre Rechtschreibfehler: Geklebte Hölzer für weitspan-
nende Konstruktionen können durch die chemische Komponente kaum bis gar nicht
in die Umwelt zurückgeführt werden. Steine haben sehr schlechte Wärme -
dämmeigenschaften, wodurch sich der Wärme energieverbrauch eher steigert. Lehm
hat nicht die besten tragkonstruktiven Eigen schaften und schwächelt schon nach dem
zweiten Obergeschoss. Beunruhigende Erkenntnisse! Aber wir erinnern uns: Die Welt,
in der wir leben, ist eine sich schnell entwickelnde Welt. Vielleicht sind die Probleme
der materiellen Hoffnungsträger schon morgen Geschichte? Das Handwerk könnte
revolutioniert werden, indem smarte und einfache Konstruktions lösungen die Ant -
Im Schatten eines Baumes formulierte Alexander Lukas seine Gedanken zu einer neuen Sprache der Architektur. wort auf die spezifischen Probleme sind. [...]
In der offenen Loggia des Ateliergebäudes fand Ann-Kathrin Hummler zu ihrem Thema: dem Stein. Ann-Kathrin Hummler: Architektur und Ort
[...] Material, gefunden und verarbeitet, ist Kontaktfläche, Berührungspunkt, der konfron-
tiert, das Verhältnis von Natürlichem und Gearbeitetem herauszuarbeiten sucht. Zwischen
da ge wesenem Ort und Eingriff, auch zwischen Ort und Mensch! Berüh rungs punkt ist
dann auch ein berührender Punkt, wie der Boden, auf dem ich stehe. In sich ist Material
architektonische Notwendigkeit. Es ist Voraussetzung für ein Fassen, das Begründen einer
Form. Seine Eigenschaften verweisen auf Handhabung und umreißen damit möglichen
Aus druck erst im Groben, dann präziser. Can Lis braucht den Stein und der gelbe Marès,
der die gezogenen Bleistiftlinien zu Mauern hebt, fordert Berührung. Gezeichnet vom
Schnitt der Sägeblätter, die ihn geformt haben, lässt er das Licht auf seinen Oberflächen
brechen. Öffnungen und Versprünge der Mauern lenken die Sonne. Sie geben einem Spiel
aus Licht und Schatten in seiner Veränderung Raum und rahmen es gleich einem
Ornament auf Zeit, das sich in täglicher Wiederholung und im selben Moment immer neu
und anders zuträgt und Ort mit Architektur in einem Wechselspiel bindet. Die kleine
Öffnung in den hohen Mauern des Wohntrakts, die die Sonne am späten Nachmittag kurz
einfängt. Das Streif licht an der Außenmauer des Schlaftrakts im Westen, abgelöst von
Pinien, die Schatten werfen. Immer im Spiel mit den rauen Strukturen der Steine selbst.
Mit einem Ort verbundenes Material steht fremdem oder beliebig austauschbarem gegen-
über. Can Lis lehrt uns, was dem Ort und der Aufgabe am besten gerecht wird. [...]
Auf einem Stuhl im begrünten Hof vor dem Schlaftrakt sinnierte Selina Thomas über das Mobiliar von Can Lis. Selina Thomas: Der Wert des Einzelnen
[...] Wer kennt ihn nicht, den Slogan: Wohnst du noch oder lebst du schon? Nicht nur
wegen seiner billigen Massenproduktion steht Ikea in der Kritik, auch das Kopieren nam-
hafter skandinavischer Designermöbel sorgte in den 1970er- und 1980er-Jahren für Empö -
rung. Teure Qualitätsprodukte werden durch Preisdumping vom Markt verdrängt. Ikea sug-
geriert dem Kunden eine Bereicherung, eine höhere Wohnqualität durch den Kauf mög-
lichst vieler Ikea-Produkte. Der billige Massenkonsum boomt, die Wirtschaft floriert. Hinter
der Ikea-Philosophie verbirgt sich das simple Prinzip: more is more. Die Masse gewinnt an
Bedeutung, jeder Kauf ist eine Bereicherung für den Kunden. Wo also bleibt der Wert des
Einzelstücks, das mit jedem Neukauf an Wertschätzung verliert, wo bleibt die Relevanz
des Individuellen? [...] Eine andere Herangehensweise vertrat der Skandinavier Jørn Utzon:
Die Möbel in seinem Haus sind aus ortsüblichem Pinienholz. Kunstfertig geflochtene Holz -
stühle können, was kein Ikea-Hocker schafft: Einen Bezug zum Ort herstellen! Utzon ging
noch weiter: Er entwarf eigens Türen und Fensterrahmen, um diesen Eindruck zu verstär-
ken. Das verarbeitete Holz stellt die Verbindung zum angrenzenden Pinienwald her, nimmt
die traditionelle Bauweise der Mallorquiner auf und lässt eine Identifikation des Hauses
mit dem Ort zu. Ein Planschrank aus Pinienholz weist dieselben ausgearbeiteten Details
auf wie die Türen. Es ist ein Schrank, der selbst nach Utzons Tod seinen Platz im Haus
behielt. Der Wert eines Möbelstücks darf nicht am Preis festgemacht werden, vielmehr an
seiner Langlebigkeit, seiner Verarbeitung und seiner Materialität. [...]
066 • AIT 12.2018