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Seminarteilnehmer
Studenten: David Eicher, Michael Ettwein, David Frei, Ann-Kathrin Hummler, Sarah Jansen, Alexander Lukas, Selina Thomas
Betreuer: Sebastian Fatmann (Universität Stuttgart, Institut für öffentliche Bauten und Entwerfen), Dr. Uwe Bresan (Gastdozent)
Studentische Hilfskräfte: Riin-Kärt Ranne, Sibylle Schmitt, Juliane Schwarz
Michael Ettwein träumte davon, dass das Haus sprechen kann. In seinem Text tritt es als Erzähler auf.
Michael Ettwein: Das Haus, das sprach
[...] Ich bin 1971 in Porto Petro, einer kleinen Stadt an der Küste Mallorcas, auf die
Welt gekommen. Mein Vater, Jørn Utzon, war ein begnadeter Architekt, der mich
schon länger als Idee und Skizze in sich trug. Er erzog mich in der Rauheit und Härte
des Steines! Als Kind versteht man eine solche Erziehung nicht. Später, ich war her-
angewachsen, und meine Körper zu prächtigen Volumen geformt, spürte ich die über-
lebenswichtigen Eigenschaften des Materials. Ich schaute mit Freude zu, wie meine
Körper mit ihren unterschiedlichen Höhen in den Himmel reichten. Dann wurden die
Decken eingezogen. Die neu angestimmten Töne überraschten mich: Der Strenge und
Härte meiner Grunderziehung entgegnete mein Vater mit einer spielerischen Wellen -
imitation des Meeres. Über die weiß angestrichenen Tonnengewölbe bin ich ihm bis
heute dankbar. Meine Räume öffnen sich in Richtung des Meeres. Es sind Öffnungen,
die gerahmte Bilder erzeugen. Meine vertikalen Kanten sprechen mit der Horizon - David Eicher beschäftigte die Frage, was wir von Can Lis für die Zukunft der Architektur lernen könnten.
talen des Meeres. Sie wiederum spiegelt sich in der Waagerechten meiner weitläufi-
gen Veranda. Es ist ein dynamisches Wechselspiel zwischen meinem festen Stein, den
wechselnden Winden und dem bewegten Wasser. Diese Gespräche kannte mein Vater David Eicher: Die Architektur in Zeiten des Klimawandels
schon, bevor er mir das Leben schenkte. Mit ihrer Weisheit zog er mich auf. Das [...] Der technologische Fortschritt hat die Möglichkeiten, wie Architektur entsteht, enorm
Teilen des Horizontes, das Sequenzieren, trage ich von meinem Inneren nach außen vervielfältigt. Diese Vielfalt der Mittel hätte womöglich zu enormer Freiheit und Unter -
weiter. Spielerisch werden beim Durchlaufen der Räume Perspektivenwechsel ge - schiedlichkeit der Architektur in Bezug auf Material und die Her stellung von gebauter
schaffen. Das ist die Sprache, die mir mein Vater beibrachte. Das sind die Worte, die Umwelt führen können. Die Kräfte des Marktes und der durchökonomisierten Gesell -
ich den Menschen zuflüstere. [...] An diesem Abend lud mein Vater seine Freunde schaft haben stattdessen zu einer Verdrängung von jahrhundertealten Bauweisen und
zum Nachtessen ein. Es wehte ein angenehm warmer Wind, den vor allem die Damen einer Verengung auf die oberflächlich einfachste und billigste Lösung geführt. Zum einen
mehrmals lobten. Weißwein wurde ausgeschenkt, Vorspeisen verteilt und gegessen. nimmt die Komplexität in der Arbeit der Architekten stetig zu, die Antwort darauf oder
Nun schaute Robert, ein Jugendfreund meines Vaters, aufs Meer und erfreute sich an die Flucht davor produziert jedoch nicht mehr als Standardisierung und eine relativ unre-
dem Ausblick. Die anderen teilten seinen Genuss. Die andächtige Ruhe wurde durch flektierte Verwendung von Material und Res sourcen. Ein Gegenmodell, das den Archi -
meinen Vater unterbrochen, der mich, die schöne Villa, mit sanfter Stimme würdigte. tekten als Vorbild und Orientierungshilfe dienen könnte, liefert hingegen die Architektur
Die Freunde nickten zustimmend und lauschten seinen Beschreibungen. Nach einiger von Can Lis. Die Herangehensweise erscheint als Gegensatz zur verbreiteten und weithin
Zeit warf die Sonne ihre letzten Schatten, der Horizont verschwand im nächtlichen gelehrten Entwurfsmethode: Nicht die Findung von Form und Raum stehen am Anfang
Schwarz und der Wind verlor an Stärke. Nach dem Essen begaben sich die Gäste ins des Entwurfs. Die grundsätzlichen Entscheidungen, die den Rahmen für die Arbeit am
Wohnzimmer. Die großen Öffnungen, die tagsüber den Blick zum Meer inszenierten, Entwurf definieren, sind jene, die das Material betreffen. Das Material von Can Lis leitet
rahmten nun spiegelnde dunkle Felder. Ich erinnere mich an unzählige Komplimente, sich ganz natürlich aus dem gegebenen Kontext ab; die Verwendung basiert auf Kriterien
die ich leider nicht in allen Einzelheiten verstand: Ehrliche Konstruktion, bescheide- wie Tradition, Verfügbarkeit, Einfachheit der Verar beitung und der Möglichkeit, das
nes Bauen, atmosphärische Fugen. [...] Material in den natürlichen Stoffkreislauf zurückführen zu können. [...]
AIT 12.2018 • 063