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Steven Dahlinger
1995 in Karlsruhe geboren 2018 Bachelorabschluss, Politikwissenschaft,
Universität Wien 2024 Mitarbeit, Studio Hanne Willmann 2025 Diplom-
abschluss, Industrial Design, Universität für Angewandte Kunst Wien
Das Stecksystem ermöglicht variabel konfigurierbare Formate. • The plug-in system for variably configurable formats. Alle Teile trennbar: für Reparatur und Recycling konzipiert • All parts are separable: designed for repair and recycling
gen erstaunlich konstant: Quadratkilometer an Arbeitsflächen, Regalen und Stauraum che. Zwei Wochen lang testete ich das Modell im Alltag. Die gespannte Oberfläche verhält
bestehen weiterhin aus schwer trennbaren Verbundmaterialien. Trotz Fortschritten in der sich naturgemäß anders als eine herkömmliche Platte. Anfangs war das Arbeiten darauf
Ressourceneffizienz landen viele dieser Materialien am Ende ihrer Nutzung im Müll oder etwas ungewohnt, doch nach einer Weile fühlte es sich sehr natürlich und komfortabel
in der Verbrennung. Gewicht und Materialverbunde erschweren nicht nur die Entsorgung, an. Sie hielt allen Anforderungen stand, die ich an sie stellte: Schreiben, Zeichnen, Blät-
sondern auch Herstellung, Transport und alltägliche Nutzung. Die Suche nach leichte- tern durch Bücher, Tippen am Laptop sowie Arbeiten mit Maus und Tastatur. Diese Phase
ren, trennbaren und zirkulären Alternativen rückt daher ins Zentrum einer zeitgemäßen schärfte mein Konzept und bestätigte meine Entscheidung, Shrinx als tragfähiges Oberflä-
Gestaltung unserer gebauten Umwelt – und der Objekte darin. Diese Überlegungen bilde- chenmaterial für einen funktionalen Arbeitstisch zu nutzen. Die größte Herausforderung
ten den Kontext für meine Diplomarbeit. Die Idee zu Tens nahm nach einem Besuch der lag im Ausloten der Balance zwischen konstruktivem Rahmen und textiler Spannung. In
Orgatec im Oktober 2024 Gestalt an. Dort knüpfte ich Kontakt mit Krall+Roth und lernte mehreren Versuchen entwickelte ich ein leichtes Stecksystem, das sich beim Schrumpfen
ihr patentiertes Material kennen. Ursprünglich für leichteres und schaumfreies Polstern des Textils selbst fixieren und stabilisieren sollte. Doch erst nach vielen Experimenten
entwickelt, schrumpfen Shrinx-Textilien bei Hitzeeinwirkung (80 bis 120 Grad), erzeugen gelang eine Lösung, bei der Gestell und Spannung wirklich zusammenarbeiten – eine
dabei hohe Spannung und werden selbsttragend. Mich faszinierten die Festigkeit, Leich- Symbiose aus Struktur und Haut. Anders als bei den flachen Komponenten der Tischo-
tigkeit, Langlebigkeit und visuelle Qualität des Materials. Also begann ich mich zu fragen: berfläche stellte das Schrumpfen des Textils über die V-förmigen Gestelle auch prozes-
Was wäre, wenn die Oberflächen, auf denen wir arbeiten, Dinge aufbewahren und able- stechnisch neue Anforderungen. Mit der Plattenpresse war dies nicht umsetzbar. Da in
gen, nicht dick und schwer sein müssten? Was wäre, wenn sie leicht und gespannt sein der Industrie oft spezielle Öfen für den Schrumpfprozess bei gleich mehreren Möbeln
könnten – und dennoch stark genug für alles, was wir von ihnen erwarten? verwendet werden, versuchte ich, einen großen Ofen in unserem Keramikstudio zu nut-
zen. Mehrere Versuche scheiterten jedoch aufgrund der ungleichen Hitzeverteilung und
Testphase, Erkenntnisse und Konzeptvalidierung lieferten keine zufriedenstellenden Ergebnisse. Infrarot-Heizelemente bieten wesentlich
mehr Kontrolle über die aufgebrachte Hitze und stellten die bessere Option dar. Da ich
Bisher wird das Material nur im Sitzmöbelbereich eingesetzt, ich erkannte jedoch das jedoch nicht sofort in solche investieren wollte, ohne den Prozess vorher zu testen, hatte
Potenzial, die enorme Spannkraft für die Konstruktion von Flächen auszutesten. Krall+Ro- ich die Idee, einige Autolackierer in unmittelbarer Nähe zu kontaktieren, bei denen die-
th zeigte sich begeistert von diesem Ansatz und sicherte mir Unterstützung bei meiner ses Equipment häufig für Lackreparaturen zum Einsatz kommt. Schließlich erklärte sich
Diplomarbeit zu. Meine praktische Arbeit begann mit einem einfachen Stahlrahmen, an eine Werkstatt bereit, mich ihr Equipment für die Experimente nutzen zu lassen – mit
dem das Textil mit Kedern und Klammern befestigt war. Zum Schrumpfen nutzte ich mit Erfolg. Für den finalen Prototyp richtete ich mir daraufhin ein eigenes IR-Setup an der Uni
Unterstützung der Holzwerkstatt meiner Hochschule die beidseitig beheizbare Platten- ein. Parallel dazu begann ich mit der Entwicklung und Konstruktion der beiden Arbeits-
presse als Ofen – mit Erfolg: Der lose Stoff verwandelte sich in eine glatt gespannte Flä- flächen. Sie wurden als modulares Rahmensystem konzipiert, das eine Anpassung der
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