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Metropolis (2001)
                                                                             von • by Tezuka Productions/Metropolis

                                                                             www.riekeles.com




                                                                           Die Ursprünge des japanischen Animationsfilms, bekannt als Anime,

                                                                           lassen sich bis in die Anfänge des 20. Jahrhunderts zurückverfolgen.

                                                                           Seit jeher prägt er die nationale Kunst, Kultur und Gesellschaft. Und

                                                                           entgegen der weitläufigen Meinung hierzulande – häufig als Kinder-

                                                                           medium abgestempelt – bedient der Anime inzwischen einen interna-

                                                                           tionalen Markt sämtlicher Ziel- und Altersgruppen. In seinem Buch

                                                                           „Anime Architecture“ (S. 31) setzt sich der in Berlin ansässige Kurator

                                                                           und Kulturwissenschaftler Stefan Riekeles mit der Wirkung und dem

                                                                           Stellenwert der Architektur in der japanischen Trickfilmkultur aus-


                                                                           einander. Genreklassiker wie „Ghost in the Shell“ und „Akira“, die in
                                                                           den 1980er- und 1990er-Jahren entstanden, richten sich mit ihrer


                                                                           dystopischen Science-Fiction an ein vorwiegend erwachsenes Pub-

                                                                           likum. Die Filme zeichnen ein schmutziges und moralisch graues Bild

                                                                           ihrer technokratisch geprägten Welten –ihr hoher Produktionswert und

                                                                           Detailgrad spiegelt sich dabei auch in der dargestellten Architektur

                                                                           wider. Inspiriert vom Tokioter Beton dschungel erstrecken sich Mega-

                                                                           citys bis zum Horizont. Die Wolkenkratzer wirken von weitem wie

                                                                           Wände eines Labyrinths, das nicht danach sinnt, durchquert zu wer-

                                                                           den. Metall, Glas und Beton, verrostetes Blech und alte Farbe – durch

                                                                           den Verfall und die Kälte des Materials und des Lichts entsteht der Ein-

                                                                           druck einer vom Menschen geschaffenen, aber menschenfeindlichen

                                                                           Umgebung. Bürokomplexe, ohne festen Boden in Sicht, drücken die

                                                                           Vorherrschaft eines erbarmungslosen und korrumpierten Kapitalismus

                                                                           aus. Mehr als nur Hintergrund: Diese Gestaltung unterstützt suggestiv

                                                                           die philosophischen Kernfragen ihrer Geschichten nach dem Preis des

                                                                           Fortschritts und der Sozialentwicklung und unterstreicht den Stellen-

                                                                           wert der Verbindung des Menschen mit seiner Umgebung.


                                                                           Text: Manuel Hilt
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