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BÜRO UND VERWALTUNG  •  OFFICE BUILDINGS LITERATUR •  LITERATURE
           LITERATUR








            FÜR DEN HERBST: ARCHITEKTURPOLITISCHES UND ZWEI NEUE LESEBÜCHER


































            Baukulturelle Bildung                    Rechte Räume                             Neue Architekturschulen


            Die Umwelt geht uns alle an – daran lässt der öffentliche  Am Beispiel der Bodenplatte ist es bestens erklärt. Als  Wie können Freiräume und unkonventionell nutzbare
            Diskurs zum Glück keinen Zweifel. Dass dies auch für die  Hans Kollhoff im Jahr 2000 die Leibniz-Kolonnaden auf  Raumprogramme für die Architekturausbildung entste-
            gebaute Umwelt gilt, zeigen Quartiers- und Stadtentwick-  dem Berliner Walter-Benjamin-Platz feierlich einweihen  hen? Auf dem dritten Luzerner Symposium für Architek-
            lungen, die sich zunehmend zum Gegenstand allgemeiner  konnte, da wurde feierlich miteingeweiht: das in die Bo-  turpädagogik ging man dieser Frage in einer Untersu-
            Kritik entwickeln. Partizipationsverfahren stoßen bei den  denplatte eingravierte Zitat des Mussolini-Anhängers Ezra  chung und spannungsreichen Dialogen nach. In „Building
            engagierten Bürgern auf eine hohe Akzeptanz. Doch sind  Pound, das der Architekt verantwortete und das Kritiker  for Architecture Education“ wurden daraus resultierende
            der Beteiligung der Gesellschaft früh Grenzen gesetzt, so-  später als eindeutig judenfeindlich bewerteten. Die Bo-  Essays und Gespräche zusammengetragen. Der Essay-Teil
            bald es an dem nötigen Know-how und (Fach-)Vokabular  denplatte ist längst entfernt, doch die Debatte – angesto-  befasst sich mit bestehenden Architekturschulen, deren
            fehlt. Damit die Allgemeinbildung dieses Fachwissen in  ßen im Mai 2019 durch das von Stephan Trüby kuratierte  Aufbau und Raumprogrammatik. Abbildungen und Plan-
            absehbarer Zeit impliziert, setzt sich der gemeinnützige  Sonderheft der ARCH+ mit dem Titel „Rechte Räume“, in  material sollen der Einordnung und dem Verständnis die-
            Schweizer Verein Archijeunes seit über einem Jahrzehnt –  dem Verena Hartbaum die „antisemitische Flaschenpost“  nen. Der zweite Abschnitt – mit häufigen Wechseln in
            wie die morphologische Wortkreuzung richtig vermuten  Kollhoffs bespricht – lebt mehr denn je. Die Streitfrage:  Form, Sprache und Schrift und daher nicht ganz so strin-
            lässt – für die baukulturelle Bildung von Kindern und Ju-  Gibt es eine architektonische Agenda, die von rechtspopu-  gent – stellt eine Aufzeichnung von Vorträgen oder Tisch-
            gendlichen ein. Sein Buch „Elemente einer baukulturellen  listischen Kräften verfolgt und von der Mitte der Gesell-  gesprächen im Rahmen des Symposiums dar. Besprochen
            Allgemeinbildung“ behandelt die Architekturgeschichte  schaft nicht verhindert wird? Der über diese Frage ent-  werden darin die unterschiedlichen Arten von Architektur-
            und -theorie, Raumplanung, Gebäudetechnik, Städtebau,  brannte Meinungsstreit wurde weit über die Feuilletons  lehre und die Orte, die es dafür benötigt. Im Kern gehen
            Denkmalpflege, digitales und energetisches Bauen und  hinausgetragen und ist noch immer nicht abgeflaut, wes-  die  Autoren  den  Fragen  nach,  inwiefern  es  spezielle
            weitere relevante Themen in angemessenem Umfang. Die  halb Trüby seinen Standpunkt nun noch einmal in einem  Räume braucht und ob – gerade in Zeiten einer Pandemie
            lehrreichen Beiträge von rund 20 Autoren der jeweiligen  Diskursbuch festgezurrt hat. Hierin versammelt der Profes-  – die Ideen der Lehre vor Ort grundsätzlich überdacht wer-
            Disziplin werden von einführenden Kommentaren der  sor für Architekturtheorie und Direktor des Instituts für  den sollten. Und es herrscht Einigkeit im Diskurs: Essen-
            Kulturjournalistin Karin Salm und Bildessays des Fotogra-  Grundlagen moderner Architektur und Entwerfen (IGmA)  ziell ist der Dialog zwischen Architekturschaffenden und
            fen Sebastian Stadler verbindend begleitet und durch wei-  der Universität Stuttgart alle seine Essays und Gespräche,  der Öffentlichkeit. Ebenso wichtig erscheint die Mehrdeu-
            terführende Literatur ergänzt. Interessant für Eltern und  die aufzeigen, dass mit dem „Rollback“ rechter Kräfte in  tigkeit und flexible Raumnutzung, um interdisziplinären
            ein Muss für Lehrpersonen, um diesen Grundstein nicht  Europa auch Aussagen zur Architektur verlautbart werden.  Austausch zu gewährleisten und eine Haltung der Studie-
            nur im Schweizer Bildungscurriculum zu setzen.  sf  Und die müssen wir lesen lernen.                               kk  renden zur Architektur bilden zu können.      pb



            Elemente einer baukulturellen Allgemeinbildung  Rechte Räume. Politische Essays und Gespräche  Building for Architecture Education. Architekturpädagogiken
            Herausgegeben von Archijeunes.           Von Stephan Trüby.                       Herausgegeben von Marc Angélil, Heike Biechteler, Dieter Dietz.
            Erschienen 2020 im Verlag Park Books, Zürich.  Erschienen 2020 im Verlag Birkhäuser, Berlin.   Erschienen 2021 im Verlag Park Books, Zürich.
            Deutsch. 412 Seiten. Softcover. Format: 16 x 22 cm. 38,00 EUR.  Deutsch. 288 Seiten. Softcover. Format: 14 x 19 cm. 29,95 EUR.  Deutsch, Englisch, Italienisch. 212 Seiten. Softcover. Format: 17 x 24 cm. 38 EUR.
            ISBN 978-3-03860-226-2                   ISBN 978-3-0356-2240-9                   ISBN 978-3-03860-262-0

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