Page 133 - AIT1021_E-Paper
P. 133

Entwurf • Design Rinsdorf Ströcker Architekten GmbH
                                                                           Bauherr • Client Rinsdorf Ströcker Immobilien GbR, Geseke
                                                                                                                                       Foto: Markus Guhl, Stuttgart
                                                                           Standort • Location Lichtenbergstraße 1, Lippstadt
                                                                           Nutzfläche • Floor space 644 m 2
                                                                           Fotos • Photos Laura Thiesbrummel, München
                                                                           Mehr Infos auf Seite • More infos on page 150







































              Roh belassene Wände, aufgearbeitete Bodendielen und Mauerreste erzählen von der Geschichte des Hauses. • Untreated walls, refurbished floorboards and remains of walls tell the story of the building.



              von • by Marai Ströcker und Carsten Rinsdorf
             N   ahezu von Beginn an befand sich das ursprünglich als Wohnhaus geplante Gebäude  Stelle Mauerreste oder Bodendielen, die in Zukunft die Geschichte des Hauses weiterer-
                 im Besitz der katholischen Kirchengemeinde Lippstadt (St. Nicolai). Noch während
                                                                           zählen können. Aber auch baukonstruktiv stand das Architektenteam vor einigen Her-
             der Bauzeit wurde eine neue Zweckbestimmung gefunden: Aus dem Wohnhaus wurde  ausforderungen. So wurden nahezu alle Balkenköpfe der alten Holzbalkendecken erneu-
             eine Rektoratsschule. Seit im Jahre 1924, nach 34 Jahren, der Unterricht eingestellt wurde,  ert und das Dach statisch auf Vordermann gebracht. Die Originalböden und die roh be-
              entwickelte sich das ehrwürdige Bauwerk über viele Jahre hinweg bis heute zu einem  lassenen Wände mit Resten alter Wandmalereien verleihen der Einrichtung einen ange-
             Haus der Begegnungen. Über den Nutzungszeitraum unter dem Mantel der Kirchenge-  messenen Kontrast und den unverwechselbaren Charakter. So stehen Sofas, die Alkoven
             meinde hinaus erfuhr das Gebäude auch nach dem Übergang in Privatbesitz die unter-  ähneln, vor roh belassenen Wänden und bieten mikroarchitektonischen Raum für kleine
             schiedlichsten Verwendungen – von Kindergarten über Tanzcafé bis hin zu der Beherber-  Meetings im Großraumbüro. Designerleuchten schmücken die alten Decken und leuch-
             gung der spanischen Mission.                                  ten die ehrwürdigen Räume gekonnt aus. Sie betonen raffiniert, wo Alt auf Neu trifft. Die
                                                                           zeitgenössischen Beschläge unterstützen bei der Reise in die gegenwärtige Zeit. Das fili-
             Sanierung mit Herz – eine sensible Überführung in die heutige Zeit   grane Design verleiht den historischen Originaltüren eine frische Leichtigkeit. Heute findet
                                                                           hier die Kooperative aus Architekten, Gestaltern und Innovatoren ihre neue Heimat.
             Fragt man heute einen Lippstädter Bürger, so hat jeder seine eigene kleine Geschichte zu
             dem denkmalgeschützten Gebäude. Umso wichtiger und herausfordernder war die Auf-  Norddeutsche Backsteingotik meets Plug & Play Office
             gabe der Sanierung des geschichtsträchtigen Bauwerks. Behutsam näherte sich das Ar-
             chitektenteam der Bauaufgabe über die Recherche der Historie. Gemeinsam mit dem  Über vier Ebenen erstrecken sich flexible OpenSpace-Arbeitsflächen und große transpa-
              Denkmalamt wurde das Konzept abgestimmt und der Maßnahmenkatalog Grundlage  rente Besprechungs- und Konferenzräume, die viel Platz für Workshops und Seminare
             der denkmalrechtlichen Umnutzung. Über 10 Monate hinweg betreute das Architekten-  bieten. Flexible Arbeitsorte und Plug & Play-Flächen für hybride Nutzungen finden sich
             team von RSA die Bauarbeiten im und am Bauwerk, um in engem Austausch mit dem  im gesamten Haus und ermöglichen eine zeitgemäße Arbeitswelt in Zeiten von Work-
             Denkmalamt das Gebäude schrittweise in die neue Zeit zu bewegen. Über dem hohen  Life-Balance und der alltäglichen Familienleben-Jonglage. In der Mitte aller Flächen be-
             Kellergeschoss aus Grünsandstein erhebt sich der zweigeschossige Backsteinbau, der zur  findet sich, als Herz des Hauses, die Kochküche samt „Weckregal“ mit anschließender
              adressbildenden Seite eine dreiachsige Aufteilung hat. Das zentriert liegende Zwerchhaus  Dachterrasse für gemeinsame kommunikative Mittagspausen, ausgelassene Feierabende
              thront über der symmetrisch aufgebauten Fassade. Es wurde von Kunstschiefer befreit  und jene Begegnungen, die seit jeher unter diesem Dach stattgefunden haben. Die Tür
             und das darunter liegende, originale Fachwerk liebevoll saniert. Das Tonnengewölbe,  „steht offen“ für Businessmeetings, Nachbarschaftsgespräche und Familientreffen. Auf
             welches im Keller freigelegt wurde, ist heute ein Highlight des Hauses. Die formschönen  dem weiteren Weg der kreativen Entwicklung sind noch Flächen für weitere Co-Working-
             Backsteinbögen leiten den Weg zu den kontrastreichen neuen Toilettenräumen. Die Ori-  Arbeitsplätze freigehalten, sodass sich unter diesem ehrwürdigen Gewand noch viele
             ginalböden aller Ebenen wurden nach und nach freigelegt und aufgearbeitet. Nur wenige  geistreiche Wendungen und künstlerische Wegegabelungen ergeben können und sich
             Wände wichen dem neuen Nutzungskonzept. Wurden sie entfernt, so blieben an ihrer  das Gebäude als kommunikative Begegnungsstätte treu bleibt.

                                                                                                                           AIT 10.2021  •  133
   128   129   130   131   132   133   134   135   136   137   138