Page 38 - AIT1018_E-Paper
P. 38

SERIEN FRAU ARCHITEKT  • MS. ARCHITECT




















               Abbildung: Architekturmuseum der TU Berlin                   Abbildung: Architekturmuseum der TU Berlin










               Modell der Diplomarbeit Merete Mattern, 1961 • Model from Merete Mattern´s diploma project, 1961  Städebaulicher Wettbewerb Bratislava, 1967 • urban design competition for Bratislava, 1967


               weil sich darin die Hoffnungen spiegeln, die Merete Matterns Werk zeitweilig in der Fach -
               öffentlichkeit hervorrufen konnte. Ihr Beitrag wurde von der Jury mit dem einzigen „Son -
               der ankauf“ ausgezeichnet. Doch sah die Bauwelt darin sogar den wahren Sieger und
               publizierte die  Zeichnungen und Modellfotos in der Folge mehrfach. Der Redakteur
               Günther Kühne verfasste zunächst einen kurzen, in Bezug auf den Sonderankauf gerade-
               zu hymnischen, für die eigentlichen Preisträger jedoch vernichtenden Artikel. Es folgte
               eine Leser briefschlacht über fünf Ausgaben hinweg. Auch die Wochenzeitung Die Zeit aus: L´Architecture d´Aujourd´hui, 1967/Architekturmuseum der TU Berlin
               schaltete sich später ein und titelte: „Der Skandal von Ratingen – Stirbt der Städtebau an
               der ‚Neuen Heimat‘?“ Dass eben auch in der Zeit und nicht allein auf den Seiten der
               Bauwelt die Ent täuschung über den Wettbewerb Ratingen-West so groß war, hing nicht
               nur mit dem Ergeb nis zusammen, sondern bereits mit den hochgespannten Erwar tun -
               gen, die diesem vorausgegangen waren. Angekündigt worden war kein normaler städte-
               baulicher Wett bewerb,  wie er in dieser Größenordnung, einer Stadterweiterung für  Wettbewerb Ratingen-West, Modellaufnahme, 1967 • Ratingen-West competition, model shot, 1967
               15.000 Einwoh ner, in der Bundesrepublik seinerzeit zu den eher kleineren Vorhaben zähl-
               te. Angekündigt  war nichts  weniger als ein Experiment, ein Aufbruch in eine neue
               Planungs kultur. Der Ratin gen-West-Wettbewerb sollte auch einen Ausweg aus der
               „Unwirt lichkeit der Städte“ weisen, wozu Alexander Mitscherlichs unter diesem Titel im  „Dank allen großen Meistern, die sich
               Jahr 1965 erschienenes Buch auf ge rufen hatte. (...)
                                                                                auflehnten + Louis Kahn.“ Merete Mattern
               Neu gedachte Architektur steht in den Startlöchern

               Statt des erwarteten Aufbruchs wurden dann allerdings Lösungen prämiert, die an längst  bauliche Figur des neuen Stadtteils ist allerdings schwer  zu deuten, da die
               bekannte Arbeiten anderer Architekten erinnerten. Der Sonderankauf für Mattern und  Modelldarstellungen nicht recht zu den Ansichtszeichnungen und diese nicht ohne weite-
               Hammerbacher wurde den Bauwelt-Lesern dagegen als die tatsächlich und buchstäblich  res  zu den schematischen Grundrissen  zu passen scheinen. Eine freie, künstlerische
               „einzige“ Arbeit präsentiert (unter 132!), die jene Präambel ernst genommen habe. Doch  Komposition ist hier angestrebt, so viel ist sicher. Sehr viel konkreter durchgearbeitet er -
               sei dies, heißt es weiter, ein „Sonderankauf, dem in den Augen und Köpfen der Seriösen  schei nen verschiedene Gebäudetypologien, unter denen Elemente von Terras senhäusern
               immer der Ruch der Utopie anhaftet, der Utopie im Sinne des Spinnertums“. Diese Uto -  und Türme in Schottenbauweise zu finden sind – oder eine Kombi nation aus alledem in
               pie wurde auf den Seiten der Zeitschrift nicht nur dem ersten und zweiten Preisträger als  einer bandstadtartigen Megastruktur  vereint ist.  Zum gleichen  Zeitpunkt erschien das
               Abbildung plakativ entgegengehalten, sondern auch auf den folgenden Seiten derselben  Januar-Heft der BDA-Zeitschrift Der Archi tekt. Auch darin wurde das Ratingen-West- Projekt
               Ausgabe zur Illustration eines Gastbeitrags von Eckhard Schulze-Fielitz verwendet, obwohl  von Mattern und Hammerbacher ausführlich  vorgestellt. Es folgten  weitere  Ve r öffent -
               dieser gar nicht auf die Mattern-Hammerbacher-Arbeit Bezug nahm. In den folgenden  lichungen, beispielsweise in der französischen Architektur zeitschrift L’Archi tecture
               Ausgaben der Bauwelt empörten sich daraufhin einige Verfahrens beteiligte in Leserbriefen  d’Aujourd’hui, die im Jahr 1967 ein ganzes Themenheft der Architektur aus Deutsch land
               über die Einseitigkeit der Berichterstattung. Kurz darauf legte die Zeitschrift nochmals  widmete, insbesondere jener, die im Um feld von Hans Scharoun neue Inter pretationen
               nach: In der ersten Aus gabe des Jahres 1967 wird dem Wett bewerbsbeitrag der gesamte  des Expressionismus erprobte. Das Jahr 1967 brachte für Merete Mattern einen weiteren
               Heftschwerpunkt gewidmet. Elf Seiten umfasst die  Veröffentlichung,  die aus Skizzen,  Erfolg. Ihr Beitrag für die Stadter wei te rung von Bratislava, den sie im Rahmen eines inter-
               einem schematischen Lageplan, mehreren Modellfotos und einem Erläu  te rungstext  nationalen Architekten- und Stadt planer kongresses angefertigt hat, wird mehrfach ausge-
               besteht.  Kein  anderes  visionäres  Projekt  wurde  in  diesen  Jahren  so  stark  von  der  stellt. Wie zuvor beim Ratingen-Projekt entwickelt Merete Mattern ihren Plan mit Skizzen
               Redaktion gefördert. Die Vielzahl der Vorstudien, Projektvarianten und vertiefenden Unter -  und zahlreichen Arbeits model len, die jeweils Prozess schritte dokumentieren, allerdings
               suchungen, die von Merete Mattern und ihrem Team in der Bauwelt publiziert wurden,  schlussendlich nur vage Fest legun gen treffen. Weitere Entwürfe dieser Art entstehen für
               erzeugt den Eindruck, dass hier nicht bloß über die Stadt Ratingen nachgedacht wurde,  Karlsruhe, München-Neuperlach sowie unter dem  Titel „Solar City Fort Lincoln,
               sondern eine grundsätzlich neu gedachte Architektur in den Startlöchern steht. Die städte-  Washington DC“ (gemeinsam mit Mario Sama). Für die Solar City wird sie 1969 in Cannes


               038  •  AIT 10.2018
   33   34   35   36   37   38   39   40   41   42   43