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Redings Essay


               WELCHER BÜROMÖBEL-




               TYP SIND SIE?






               Ein Essay von Benjamin Reding
               W     elcher Büromöbel-Typ sind Sie?“ Die Werbung gönnt sich eine Doppelseite.  Werbung! „Das Make-up Ihrer Frau zerfließt schon in einem Regenschauer. Feuerver -
                                                                             zinkter Stahl trotzt Regen Jahrzehnte.“ – „Mädchen mögen´s warm. Planatherm-Heizkör -
                     Links die Schwarz-Weiß-Fotografie eines Büroraums im – na, sagen wir mal –
               Einzelbüro-Finanzamt-Uelzen-1958-Stil, darunter die Frage: „Der Büromöbel-Typ, der  per. Da taut jede Eva auf.“ – „Ganz gleich, wo Sie bauen. Ein Mann von der Esser-KG ist
               es grau in grau mag?“, und ein Kreis zum Ankreuzen. Und rechts die Frage: „Oder der  immer in der Nähe.“ Dass auch eine Frau der Esser-KG in der Nähe sein könnte, kommt
               Büromöbel-Typ, der zum Mond fliegt?“, und der Kreis zum Ankreuzen und noch ein  den Werbetextern von 1972 nicht in den Sinn. Aber es war auch schwer, die Zeit rannte
               Foto, diesmal in Farbe. Sehr viel Farbe: Roter Flokatiteppich, PVC-Drehstuhl in Zitro -  über die biederen Baufirmen und ihre Werbeabteilungen hinweg, wie ein Steine werfen -
               nengelb, Blumentapete in Pink, Orange und Violett, kobaltblauer Kunststoff schreib -  der Demonstrant auf einer Anti-Vietnamkriegsdemo. Zwischen Sit-ins und Drop-Outs,
               tisch  und  obenauf  ein  IBM-Com puter, so groß  wie ein Kühlschrank. Darunter der  zwischen Flower-Power und Pop-Art, zwischen Ho, Ho, Ho Chi Minh und Che Schah Shit,
               Slogan: „Büromöbel, startbereit für das nächste Jahrtausend“, und der Name einer  zwischen Pril-Blumen und freier Liebe verlor man schnell den Überblick. „Welcher Büro -
               ostwestfälischen Schreibtischfabrik.                          möbel-Typ sind Sie?“ Ja, welcher eigentlich? Mein Schreibtisch steht auf keinem Flokati -
               „Vorsicht!“ Der runde Herr im Blaumann wirft den nächsten Altpapierstapel in den Con -  teppich, mein Bürostuhl ist aus Holz, mein Computer schmaler als eine AIT-Ausgabe.
               tainer. Architektur-Hefte aus den frühen 1970er-Jahren. Vergilbt, verstaubt, zerknittert. Ich  Was der Büromöbel-Typ 1972 wollte, kann man in den alten Anzeigen ahnen, aber was
               ziehe meine Hand zurück und strecke sie doch gleich wieder aus, betrachte die Cover,  macht, verdammt noch mal, der Büromöbel-Typ, Jahrgang 2016?
               öffne die Umschläge. „Was gibt kühlen Glaspalästen den warmen Touch? Dura-Teppich -  Staub wirbelt hoch. Eine neue Ladung Architekturhefte ergießt sich in den Container.
               boden“. Unser Nachbar zieht aus. Für immer. In ein Altersheim auf den Kanaren. Meer -  Der Keller-Mief wabert in alle Rich tungen. Ich atme ein, inhaliere die Schimmelpilz-
               blick, Palmen, Sonnenschein. Jetzt räumen seine Kinder das Haus leer. Es wird verkauft.  Dröhnung. Der Trip beginnt, ich fantasiere: Welcher Büromöbel-Typ sind Sie? Kreuzen
               Auf Abriss. Bestimmt hat er die Hefte als Anregung gekauft, damals, beim Hausbau.  Sie jeweils eines der drei folgenden Statements an und zählen Sie die dazugehörigen
               Welche Fenster, welche Böden, welche Möbel. Ich blättere und schüttele den Kopf. Diese  Punkte zusammen. Das Ergebnis finden Sie am Ende der Liste.

               1. Büro-Sukkulenten sind...             5. Ihr neues Büro entwirft...
                O stille Zuhörer Ihrer heimlichen Seufzer. (= 4 Punkte)  O ein 103 Jahre alter Feng-Shui-Lehrer. (= 3 Punkte)
                O diese Dinger, die man nie gießen muss. (= 6 Punkte)  O Sie selbst. (= 5 Punkte)
                O ein Rest vom Garten Eden. (= 3 Punkte)  O nicht der, der Ihr jetziges Büro entworfen hat. (= 4 Punkte)

               2. Die Artemide-Tizio-Schreibtischlampe ist...   6. Auf einem Egon-Eiermann-Bürostuhl würden Sie...
                O ein Klassiker, weil in jedem Büro. (= 5 Punkte)   O lustvoll acht Stunden täglich leiden. (= 6 Punkte)
                O ein Langweiler, weil in jedem Büro. (= 2 Punkte)  O bequemere Bürosessel entwerfen. (= 8 Punkte)
                O dieses Ding, das es immer wieder schafft, Ihnen die   O sich an die Kaugummireste in den Seminarräumen
                 Finger einzuklemmen. (= 4 Punkte)       Ihrer Uni erinnern. (= 4 Punkte)

               3. Ein weißes Blatt Papier ist...       7. Ihre Büro-Kollegen sind...
                O der Beginn einer neuen Welt. (= 1 Punkt)  O schweigsame Dulder, wie Sie selbst. (= 4 Punkte)                           Grafiken/Collagen: © Benjamin Reding
                O ein weißes Blatt Papier. (= 2 Punkte)  O kreative Genies, wie Sie selbst. (= 7 Punkte)
                O eine seltsame Sache, die früher mal was mit Büro zu   O die freundlichen Menschen, die Ihnen zum letzten
                 tun hatte. (= 3 Punkte)                 Geburtstag einen Kuchen gebacken haben. (= 3 Punkte)

               4. Mit Leitz-Aktenordnern kann man...   8. Wenn Sie aus Ihrem Bürofenster blicken, sehen Sie...  9. Im Paradies gibt es...
                O ein Büro-Museum ausstatten. (= 8 Punkte)  O die Freiheit. (= 3 Punkte)          O endlich keine Büros mehr. (= 3 Punkte)
                O ein Büro ausstatten. (= 7 Punkte)     O einen grauen Herbsttag. (= 4 Punkte)    O nur noch perfekte Büros. (= 6 Punkte)
                O eine Hütte am Strand bauen. (= 3 Punkte)   O den Porsche Ihres Chefs. (= 7 Punkte)  O Es gibt kein Paradies! (= 0 Punkte)

               Auswertung: 25–35 Punkte: Der Geruch des Meeres, der Geschmack von Schnee, das  putzen. Den abgelaufenen Joghurt im Büro-Kühlschrank: entsorgen. Das Wort Demut sagt
               Gefühl eines Sommerregens auf Ihrer Haut. Herrlich! Aber Büromöbel, was ist das? Ihnen  Ihnen etwas. Und Sie machen das Beste daraus. Jeden Tag.
               wird ein vermackter Klappstuhl mehr Freude machen, als jeder noch so ergo nomisch  46–55 Punkte: Sie sind mit Ihren Büromöbeln nicht nur auf dem Weg zum Mond, Sie sind
               gefor  mte Bürosessel. Solange er an einem Strand steht und Sie dem Klang der Wellen  schon am Jupiter vorbei und am Saturn, ja vielleicht sogar schon am Pluto. Und wenn es
               lau schen dürfen. Mit Büroklammern, Lochern und Schnellheftern kann man kein Herz  den ersten Quanten-Computer, Bio-Computer, Nano-Computer im Handel gibt, bei Ihnen
               er  o bern, aber mit einem Lächeln, Blumen und mit Gedichten von Hermann Hesse. Und  wird er auf dem Schreibtisch, sorry, Workspace stehen. Und mal ehrlich, steckt hinter Ihrer
               wenn Sie doch in ein Büro gehen müssen, trösten Sie sich: In jeder Yucca-Palme steckt  Sehnsucht nach Modernität nicht der heimliche Wunsch, das Büro der Zukunft erledige die
               ein Urwald.                                                   Arbeit von selbst? Dann gäbe es keine Schreibtische mehr und keine Büromöbel und über-
               36–45 Punkte: In Gefahr und höchster Not, bringt der Mittel weg den Tod. Aber sie befinden  haupt, macht die Frage dann überhaupt noch Sinn: „Welcher Büromöbel-Typ sind Sie?“
               sich weder in Gefahr noch in Not und können Ihr Büro lieben. So, wie es ist. Das überhelle  „Keiner“, ruft der Mann von der Entrümpelungsfirma. Uff, habe ich mit mir selbst geredet?
               Neonlicht: ertragen. Die Unruhe im Büro: verdrängen. Die Überstunden: klaglos abarbeit-  „Ich hab kein Büro, ich hab Feierabend!“ Er grinst, klopft den Staub aus seinen Hand -
               en. Den Desktop: aufräumen. Die Computer-Abstürze: verhindern. Die Kaffeemaschine:  schuhen und schließt den Containerdeckel.



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