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A Song of Ascents, 2024
von • by Louise Giovanelli Foto: kunst-dokumentation.com
Instagram: louise___giovanelli
Vorhänge – einmal geöffnet – versprechen den Eintritt in eine andere
Welt. Und wenn sie sich schließen, bewahren sie genau dieses Ver-
sprechen. „Das Gemälde verharrt in einem Schwebezustand und
lässt uns rätseln, ob die Vorstellung bereits zu Ende ist oder gerade
erst beginnt“, erklärt Louise Giovanelli – und lässt einen nicht nur
im Unklaren, ob das Geschehen noch bevorsteht oder vorbei ist,
sondern auch darüber, worin es überhaupt besteht. Eine Regiean-
weisung, die mehr verschleiert als offenbart. Der Vorhang, textiler
Sichtschutz und Symbol für Anfang und Ende, steht im Zentrum der
hier vorgestellten Bildwelten. Er ist Teil der Bühne, Behauptung und
Rückzug zugleich – und in ihren Gemälden eine vierte Wand, die
nicht durchbrochen, beziehungsweise aufgezogen werden kann.
Der schwere, farbintensive Stoff erscheint dramatisch ausgeleuch-
tet, beinahe fotorealistisch. Das changierende Spiel aus Licht und
Material führt die Tradition des Trompe-l’œil weiter, ohne sich ihr
ganz zu unterwerfen. Denn bei genauerem Hinsehen löst sich das
vermeintlich Reale auf – in Lasuren, in Übergängen, in Malerei als
konzentrierter Prozess. Giovanelli ist eine präzise Beobachterin von
Oberfläche, Licht und Struktur. Auch das dritte hier gezeigte Werk
(S. 46–47), zwei schimmernd goldfarbene Hemden, lebt von dem
Wechselspiel zwischen materieller Präsenz und bildlicher Entgren-
zung. Das Gold und der Glanz verweisen auf das Glamouröse, auf
Bühne und Projektion: ein Spiel mit Bedeutungsschichten, klar
komponiert und formal bis ins Letzte durchdacht – ohne dabei das
zugrunde liegende Sujet offenlegen zu müssen. Geboren 1993 in
London, lebt und arbeitet Louise Giovanelli heute in Manchester.
Sie studierte an der Manchester School of Art und absolvierte ihren
Master an der Städelschule in Frankfurt am Main. sf