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VERKAUF UND PRÄSENTATION • RETAIL AND PRESENTATION THEORIE • THEORY
palette zu überfordern, bieten Pop-up-Stores Luxusmarken die Flexibilität, bestimmte Kollektionen
oder Themen in den Mittelpunkt zu stellen, eine kohärente und fesselnde Storyline zu kreieren und
ihre Geschichten in fokussierte Community-Erlebnisse zu verwandeln.
Einzigartigkeit und Freude
Für Kreativschaffende sind Pop-ups dabei wahre Spielwiesen, denn sie können die Flächen in
alle möglichen Erscheinungsformen transformieren: Ob als Truck oder als Kiosk, in einer Fab-
rikhalle oder einem Container, in einem leerstehenden Ladenlokal oder im Store eines Koopera-
tionspartners – alles ist möglich, Hauptsache die Marke inszeniert sich dort, wo ihre Zielgruppe
ist. Ein herausragendes Beispiel hierfür ist der „Beach Pop-up“ von Chanel, mit dem die Kult-
marke an verschiedenen Sommerdestinationen wie Saint-Tropez oder Ibiza auftaucht. Damit prä-
sentiert sie ihre exklusive Sommerkollektion an luxuriösen Orten, die perfekt zur Marke passen.
Längst nutzen auch „Internet Pure Player“, also Unternehmen, die ihre Produkte, Dienstleistun-
gen und Services ausschließlich online anbieten, die Vorteile kurzzeitiger Live-Auftritte: Für den
Online-Handel bieten Pop-ups eine der seltenen Gelegenheiten, mit ihrer Zielgruppe auch phy-
sisch – und damit anfassbar, emotional und persönlich – in Kontakt zu treten. Da innovative
Brands mit ihren Pop-ups häufig auf Hyperphysikalität und Personalisierung setzen, steht vor
allem auch die Vermittlung von Freude und Begeisterung im Vordergrund: In unsicheren Zeiten
werden freudige Momente und Erlebnisse, die nostalgische Kindheitserinnerungen wecken, von
den Besuchenden sehr geschätzt. In einer Umfrage des internationalen Netzwerks von Werbe-,
Marketing- und Beratungsunternehmen Wunderman Thompson gaben fast doppelt so viele Men-
schen an, dass sie eher bei Marken kaufen, die ihnen ein Gefühl von Freude vermitteln (49 Pro-
zent), während 70 Prozent sich nicht erinnern konnten, wann sie das letzte Mal von einer Marke
begeistert waren. Pop-ups setzen genau hier an und vermitteln Einzigartigkeit und Freude. Damit
wecken sie bei der Zielgruppe nicht nur Interesse, sondern auch Begeisterung. Pop-ups sind daher
nicht mehr nur ein Beiwerk im Retail-Mix, sondern ein wesentlicher Bestandteil der Marketing-
aktivitäten eines Unternehmens geworden. Dies gilt umso mehr, als die „Customer Journey“ der
neuen Generation von KonsumentInnen sehr dezentralisiert verläuft und Kaufentscheidungen auf
verschiedenen Plattformen getroffen werden. Marken sollten es daher wagen, anders zu sein: Statt
Zur Milan Design Week 2024 öffnete ... • For Milan Design Week 2024 ... das Offensichtliche zu betonen, sollten sie kreativ werden und ihre Geschichten auf außergewöhn-
liche Weise erzählen. Sie sollten Emotionen in den Vordergrund stellen, indem sie auf die Wünsche
ihrer Zielgruppe eingehen und Erlebnisse bieten, die ihnen bisher gefehlt haben.
... das Rimowa Caffè seine Türen. • ... the Rimowa Caffè opened its doors
Neue Orte, spektakuläre Auftritte
Marken und Handel setzen aber nicht nur auf temporäre Präsenz, um ihrer Zielgruppe neue Erlebnisse
zu bieten: Sie diversifizieren ihr Angebot über die traditionelle Produktpalette hinaus oder machen
mit besonderen Aktionen auf sich aufmerksam. Das „Flower Pop-up“ von Prada, der Burberry-Res-
taurant-Takeover, der Hermès-Kiosk oder das Rimowa-Café in Mailand sind bemerkenswerte Beispiele
gelungener Brand-Diversifikation. Gleichzeitig werden zunehmend visuelle Statements eingesetzt, um
Markenbotschaften zu kommunizieren und Aufmerksamkeit zu erregen. So zeigte Moncler beispiels-
weise eine spektakuläre Performance auf dem Mailänder Piazza del Duomo: Die Modenschau kombi-
nierte Kunst, Tanz und Fashion und verwandelte den historischen Platz in eine Bühne – der öffentliche
Raum wurde zur Kulisse für die Marke. Mit solchen außergewöhnlichen Strategien schaffen Marken
ungewöhnliche und einzigartige Erfahrungen und erhöhen damit ihre Relevanz. Sie erzählen Geschich-
ten, beziehen die Menschen mit ein und erzeugen durch die hohe Erlebnisqualität gleichzeitig neuen
Content. Dieser Ansatz des „Hyperlocal Storytelling“ bedeutet, Narrative auf eine sehr spezifische,
lokale Ebene herunterzubrechen. Der Fokus liegt dabei auf besonderen Themen und Zielgruppen, die
direkt mit einem bestimmten Ort oder einer bestimmten Community verbunden sind. Dabei sollte hier
vor allem auf die Konsistenz der Kernaussage geachtet werden, die sowohl mit den Markenwerten als
auch mit aktuellen Kampagnen harmoniert: Je klarer die Message, desto kreativer kann sie umgesetzt
werden. Und eine Neuinterpretation der Botschaft aus verschiedenen Blickwinkeln ermöglicht zudem
episodisches Storytelling mit wiederkehrenden Formaten, die das Publikum langfristig fesseln.
Retail ist viel mehr als nur Verkaufen!
Die Zukunft des Retail ist also dynamisch, kreativ, vielfältig und zunehmend auch wieder physisch.
Mit innovativen Ansätzen wie Pop-up-Stores, „Brand Diversification“ und „Travelling Campaigns“
werden neue Räume genutzt und einzigartige Brand Experiences generiert, die über das traditionelle
Fotos: Rimowa, Köln Einkaufen hinausgehen. Diese Strategien ermöglichen es, tiefere Bindungen zu den KundInnen auf-
zubauen und sich in einem wettbewerbsintensiven Markt zu behaupten. Denn wer gute Erlebnisse
bietet, wird mit guten Umsätzen belohnt …
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