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REDINGS ESSAY
DIE EICHE DES KÖNIGS, ODER:
GÄRTNER FÜHREN KEINE KRIEGE
Ein Essay von Benjamin Reding
V or 1.000 Jahren, es soll ein windiger Herbsttag gewesen sein, ließ eine Krähe, als sie er wäre immer auf der Seite der Guten. Ein sonnengebräunter Geheimagent, der ruch-
über das Gebrüll eines hungrigen Bären erschrak, am Rande eines hölzernen Dörf-
lose Bösewichte am Ergreifen der Weltherrschaft hindert; ein elegant gekleideter Kom-
chens namens Berlin aus ihrem Schnabel eine Eichel fallen. Die Nuss fiel tief und tiefer, missar, der lässig-charmant die kniffeligsten Fälle in labyrinthischen schottischen Schlös-
bis hinein in den feuchten Boden, denn die letzte Eiszeit hatte hier reichlich Seen hinter- sern löst; ein furchtloser Privatdetektiv, der mit Zigarillo zwischen den Zähnen und kes-
lassen. Ein Winter kam, kalt und klar, ein Frühjahr, nass und grau, dann, endlich, Sonne sen Sprüchen auf den Lippen alle unschuldig Beschuldigten aus den Klauen der wahr-
und Wärme. Der Humus zitterte und wölbte sich und ein Keimling, kaum größer als ein haft Schuldigen befreit. Ja, Joachim von Vietinghoff könnte ein Filmdarsteller sein, und
Grashalm, bohrte sich durch das feuchte Erdreich. Nun lauerten der Gefahren viele: wenn, dann ein bekannter. Aber er ist es nicht, er ist Filmproduzent. Das ist dieser
Vögel, die picken, Kühe, die grasen, Ameisen, die zerbeißen und hinfortnehmen. Aber schwerlich beschreibbare Beruf, von dem Filmzuschauer nichts ahnen und auch nichts
als der Sommer an sein Ende kam, war aus dem zittrigen Keimling schon eine Pflanze ahnen sollen. Filmproduzenten sind: mutige, leichtsinnige, gerissene Hasardeure, die das
geworden, ein Winzling von einem Eichenbaum. Herbste folgten, Winter, Frühjahre, Som- Geld zusammentrommeln, damit die Regisseure träumen dürfen. Albträume, Lustträume,
mer. Das Eichenbäumchen kämpfte tapfer mit Sturm und Hagel, mit Frost und Dürre, Tagträume! Für einem Film ließ Vietinghoff ein Luftschiff bauen und fliegen, ein echtes,
Schnee und Eis und selbst einer Horde hungriger Hirsche, einem gierigem Heuschrecken- mit Aluminiumringen, Stoffbespannung und Heliumladung, 30 Meter lang; für einen an-
schwarm und brandrodenden Bauern trotzte es, denn dieses eine Bäumchen ließen sie, deren Film das Monumentalgemälde „Who’s afraid of Red, Yellow and Blue?“ von Barnett
ausstaffiert als Vogelscheuche, stehen. Aus dem Bäumchen wurde ein Baum, mit einem Newman nachmalen. So gut, dass die Nationalgalerie überlegte, es aus Versicherungs-
Stamm zum Herzeneinritzen und einer Krone so gründen statt des Originals auszustellen.
groß, um im Schatten zu dösen. 623 weitere „Ja, wir treffen uns bei mir“, sagte er am Tele-
Sommer zogen ins Land, dann, wieder einmal fon. Aber es war keine Ku’damm-Adresse, auch
hatte der König gewechselt, hielt eine Kutsche kein „Work-Space“ am Alexander- oder Potsda-
am Rand des Acker s. Ein Diener verbeugte sich, mer Platz. Weit hinaus fuhren wir, dorthin, wo
öffnete die Tür, und heraus traten der neue einst der Todesstreifen war, Stacheldraht und
König in all seiner Glorie und sein Architekt. Grenzstreifen, betonierte Fahrwege und all-
Pläne wurden entrollt, Skizzen gemacht, mit nächtlich kreisende Scheinwerfer. Sein Haus
samtenen Schuhen Linien ins Erdreich gezogen. war bescheiden, aber auch dort würden wir das
Und so wurde aus dem Acker ein Park voller Gespräch nicht führen, in ein noch kleineres
Buchsbaumhecken, Volieren, Brunnen und Haus im Garten ging es, an einen Bauhaus-
strenger barocker Symmetrien; um dann, nur Schreibtisch, umgeben von Preis statuen und
ein Lebensalter später, unter dem nächsten Filmplakaten. Wir erläuterten unser Projekt,
König und dem nächsten Architekten ein Land- nervös, mit feuchten Händen; sprachen über
schaftspark nach englischer Manier zu werden. die Kalkulation, die Finanzierung, Rückstellun-
Und stand der Eichenbaum dem Barockarchi- gen, Eigenanteile, Senderbeteiligungen, rück-
tekten und seinen Achsen noch im Weg und zahlbare Darlehen, Summen, Salden, Soll und
plante er schon sein Sterben, so liebte der neue Haben, über Geld, Geld, Geld. Plötzlich stand
Architekt ihn genau deshalb und ließ ihn, nun Grafische Bearbeitung: Benjamin Reding Vietinghoff auf. „Die Wildrosen, die duften ja bis
mit Gittern umzäunt, stehen. Als Zierde, als Aus- hier hinein“, sagte er und ging ins Freie. „Die
flugsziel, als Point-de-Vue, als Eiche des Königs. letzte Eiszeit und zwei Könige haben meinen
Es geschieht unter fahlen Neonröhren, in engen Garten angelegt. Die Eiszeit, die hier einen Teich
Hinterzimmern mit Gipskartonwänden, Filztep- zurückließ und die beiden preußischen Könige
pich und schallschluckenden Deckenplatten, bestenfalls noch in irgendeinem Hotel- Friedrich Wilhelm III. und Friedrich Wilhelm IV., die zusammen mit ihrem Gartenarchi-
Grillroom, einer plüschigen Bar, einer falschen „Bauern stube“ mit Kuhglocken-Deko und tekten Peter Joseph Lenné aus jedem Acker in Potsdam einen Park machen wollten. Die
Servierkräften in Dirndln. Das sind die Orte, an denen die großen „Deals“ gemacht wer- Sache wurde dann aber zu teuer. Friedrich Wilhelms Nachfolger verkauften und zerteilten
den, die Kaufakte über 100.000 Euro. Keiner dieser Orte ähnelt auch nur entfernt den die Grundstücke. Häuser kamen, Straßen, Grenzen. Und alle Park-Eichen verschwanden.
glitzernden Wunderkammern, ästhetischen Offenbarungen, architektonischen Delikates- Bis auf eine: diese hier!“ Joachim von Vietinghoff setzte sich an einen Gartentisch unter
sen, die die AIT zweimal jährlich zum Thema „Retail“ präsentiert. Und einen solchen der sachte rauschenden Baumkrone. „Der Mut beim ersten Film. Die Naivität, wenn man
Ort, pragmatisch und öde, erwarteten auch wir, bei unserem größten „Deal“. Sagen wir nicht weiß, welche Gefahren hinter der nächsten Ecke lauern, das hat mich immer fas-
es gleich, es ging um eine Million. Ein Kinderfilmprojekt mit Sibel Kekilli in der Haupt- ziniert.“ Und dann erzählte er von seinen Anfängen, als er John Lennon in der Lüneburger
rolle, nach einem preisgekrönten Kinderbuch von Ingrid Bachér. Wir mussten dazu, so Heide traf und ein berühmtes Bild von ihm schoss; von einer Liebe in Cannes und einem
forderten es die undurchschaubaren Gesetze der Filmförderungen und TV-Anstalten, morgendlichen Spaziergang mit ihr an der Croisette; und dass er Gärtner möge, „weil die
einen Co-Produzenten finden, der mit ebendieser Million in unser Projekt einsteigt. Und keine Kriege führen“. Sogar vom Tod sprach er, dass man sich unter die Eiche setzen
so gingen wir – auch hier wäre es sinnlos, es zu verschweigen, denn in der Branche möge, dort wäre er weiter anwesend. Erst am Auto merkten wir es: „Mensch, wir haben
kennt ihn jeder – zu Joachim von Vietinghoff, der die Goldenen Bären, Deutschen Film- über so viel geredet, nur nicht mehr über das Geld. Wir haben was falsch gemacht.“ –
preise, Cannes-Premieren sammelt wie andere Likörgläser. Wäre er ein Film-Darsteller, „Nein“, sagte mein Bruder, „wir haben es richtig gemacht!“ Und stieg ins Auto.
056 • AIT 9.2019

