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WOHNEN • LIVING
CASA ALFÉREZ
IN LA MARQUESA
Entwurf • Design Ludwig Godefroy, MX-Mexiko-Stadt
Außerhalb der pulsierenden Metropole Mexiko-Stadt realisier-
te der französisch-mexikanische Architekt Ludwig Godefroy ein
ruhiges Refugium inmitten von Pinienwäldern. Die Notwendigkeit
einer schützenden Architektur in einsamer Lage manifestiert sich
in einer Betonskulptur, die im Erdgeschoss weitgehend geschlos-
sen ist, aber in raffinierter Weise von Tageslicht profitiert.
von • by Annette Weckesser
L udwig Godefroy sammelte nach seinem Architekturstudium in Paris Erfahrung in nam-
haften internationalen Büros – unter anderem bei Enric Miralles EMBT in Barcelona,
bei OMA in Rotterdam und bei Tatiana Bilbao in Mexiko-Stadt. Seit 2011 realisiert der in
der Normandie geborene und in Mexiko-Stadt lebende Architekt bemerkenswerte eigene
Projekte, die vom Restaurant über Clubs bis zu Häusern für solvente private Auftragge-
ber reichen. Äußerst plastisch, kraftvoll, archaisch – so lässt sich seine Arbeit am besten
umreißen. Materiell manifestiert sich seine Architektur und Innenarchitektur in Beton,
Vulkangestein, Basalt, Kupfer und Holz. Im Juli vergangenen Jahres stellte Godefroy in La
Marquesa, vor den Toren von Mexiko-Stadt, die Casa Alférez fertig. Dem Haus liegt die
Idee eines Hauses in den Wäldern zugrunde: isoliert, fernab der Zivilisation, ein Kubus aus
Sichtbeton, einerseits romantisches Refugium, andererseits zwingend Schutz bietende,
brutalistische Festung. Daher auch der Baustoff Beton. In der Tat wirkt der skulpturale
Kubus uneinnehmbar, wie ein monolithischer Meteorit, der in den Wäldern eingeschlagen
ist. Das Erdgeschoss ist, so Godefroy, „weitgehend blind“. Sprich, es gibt dort, wo sich der
haushohe Wohnbereich mit offenem Kamin sowie die Schlafzimmer befinden, lediglich
schmale Fensterschlitze. Dennoch profitieren die Räume von Tageslicht, das durch Licht-
kanonen und große, in sicherer Höhe liegende Fenster dringt. Die Sofalandschaft hat
Godefroy in den Boden gebettet. So wirkt diese nicht wie ein Möbel, sondern ist Teil der
Architektur. Als zweite Wohnebene dient die Dachterrasse in den Baumkronen der Pinien.
Hier ist die Morgen-Zone, im Erdgeschoss die Abend-Zone. Zwischen ganz unten und ganz
oben entwickeln sich (im Schnitt gut erkennbar) im Split-Level verschiedene Ebenen mit
offener Küche, Ess- und Arbeitsbereich in die Höhe, alles verbunden durch die raumgrei-
fende Plastik der Treppe. Die Grundfläche des Hauses beträgt lediglich neun mal neun
Meter, um den ökologischen Fußabdruck trotz des Baustoffs Beton gering zu halten. Nest
und Höhle, hoch und niedrig, introvertiert und aussichtsreich, im Norden ins Erdreich
gebaut, im Süden schwebend – ein spannendes Haus der Gegensätze.
100 • AIT 7/8.2023