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REDINGS ESSAY
                                               HAUS SUCHT




                                                        MEISTER






                                                                Ein Essay von Dominik Reding





               D   er Ball flog weit, in hohem Bogen, unsere Blicke folgten ihm: erst begeistert, dann  Er liebt den großen Auftritt, den knalligen Effekt, da dürfen Wasserhähne golden schim-
                   besorgt, dann entmutigt. Wir hofften noch, er würde an der Wand abprallen, zu uns
                                                                             mern, die Toilettenböden aus Marmor und die Küche eine Einzelanfertigung vom Tischler
               zurückkullern. Aber nein, er flog über die Maurer. Und war, das wussten wir, damit für  sein. Für ihn ist Architektur ein Luxus, den es zu genießen gilt. Ihn als Architekten zu ge-
               immer verloren. Das Dahinter konnte man nicht sehen, selbst auf Zehenspitzen nicht, ja  winnen, ist nicht für jeden Bauherrn, aber jeden Hausmeister ein Glück. Er gönnt ihnen
               nicht einmal auf zwei Tornistern übereinander. Hinter der Mauer stand das Wohnhaus  was. Großes Wohnzimmer, Kinderzimmer, Arbeitszimmer, Doppelgarage, manchmal
               des Schulhausmeisters. Es hieß, er habe einen bissigen Hund, es hieß, er sei geschieden,  zwei Bäder sogar, Terrasse, Pantry, Fußbodenheizung. Und wenn im Erdgeschoss kein
               es hieß, er trinke zu viel und er sei jähzornig und er habe einem Schüler eine Ohrfeige  Platz bleibt, dann kommt die Hausmeisterwohnung eben als Penthouse aufs Dach oder,
               gegeben – aber all das war Gerücht, von der Waschbetonmauer umgebenes Geheimnis.  wie bei meiner Schule, in ein eigenes Haus. DIE NOTLÖSUNG: Architektur ist ein schwie-
               Da erfüllte, drei Tage vor den Sommerferien, Baulärm das Schulgelände. Die Mauer  riges Ding. Zwischen Notausgängen und DIN-Normen, zwischen Wärmedämmung und
               muss te fallen und, um einen Meter versetzt, wieder errichtet werden. Die Feuer wehr  Kunstanspruch, zwischen Bauherrenwünschen und Isolierverglasung bleibt doch immer
               hatte es verlangt, ihre Löschfahrzeuge kamen bei einem Übungseinsatz nicht nah genug  etwas ungeklärt. Ein störender Eckraum hier, ein zu schmaler Gang da, ein zu dürftig be-
               an die Schultür. Die Behausung des Hausmeisters hatte ich mir grausig vorgestellt. Wer  lichtetes Erdgeschosszimmer dort, eine ungenutzte Dachterrasse ganz oben. Wie gut,
               Kindern Bälle wegnimmt, kann nur in einer windschiefen Baracke, einem nasskalten Dra-  dass es die Hausmeisterwohnung gibt! Erleichtert addiert der Architekt noch Bad, WC
               cula-Schloss oder einem lichtlosen Bunker vegetieren. Aber hinter dem wegbrechenden  und Küche dazu und – plopp! – schon wird aus den glücklosen Grundrissresten die Haus-
               Beton tauchte etwas ganz anders auf: ein helles, souverän entworfenes Einfamilienhaus  meisterwohnung und er kann sich die verräterischen Wörter „Abstellraum“, „Bedarfs-
               mit berankter Pergola, Blumenfenster und gläsernen                                    raum“ „Multifunktionsraum“, „Archiv“ und „Pausen-
               Terrassentüren. Üppig hatte der Architekt hier der                                    Terrasse“ in den Plänen ersparen. DIE WIEDERHO-
               Hausmeisterfamilie gegönnt, was er uns Schülern                                       LUNGSTAT: „Dass ich erkenne, was die Welt im In-
               vorenthielt: Raum, Licht und spielerische Details.                                    nersten zusammenhält.“ Der Architekt, der diesen
               Noch in der Nacht bauten sie die Mauer wieder auf                                     Faust-Satz mit einem klaren Ja beantworten kann,
               und das filigrane Wohnhaus entzog sich allen uner-                                     hat gewonnen! Er wird nicht nur weltberühmt, be-
               laubten Blicke, aber dort und von nun an stetig, ach-                                 kommt den Pritzker-Preis, und die von ihm entwor-
               tete ich auf dieses seltsame Stück Architektur, auf                                   fenen Stühle, Sessel und Tassen stehen in jeder De-
               diesen unvermeidlichen Rest humaner Normalität in                                     signer-Wohnung, sondern er hat einen Stil kreiert.
               all den Schul-, Opern-, Universitäts- und Museums-                                    Ein Betonhaus auf Stelzen? Le-Corbusier-Stil. Ein
               bauten voller Anspruch und Grandezza. Hausmei-                                        Glashaus mit Nasszelle? Mies-van-der-Rohe-Stil. Ein
               sterwohnungen machen es einem nicht leicht, sie                                       weißer Kubus mit Rechteck-Fenstern? Bauhaus-Stil.
               verstecken sich. Sie ducken sich weg, als sei ihr pro-                                Und hat man den Stil erst mal gefunden, den Zipfel
               faner Wohnungsgrundriss den Rembrandts und Mo-                                        Ewigkeit erhascht, dann wird eisern daran festgehal-
               zarts nicht zuzumuten. Ich gebe Ihnen einen Tipp:                                     ten, vom Entwurf des Postkastens bis zur Hausmei-
               Suchen Sie in Grundrissen an den Enden der Büro-                                      sterwohnung. Das kann von Vorteil sein, wenn der
               und Erschließungsgänge, suchen Sie im  Tiefge-                                        Stil einer gewissen Üppigkeit frönt, oder schief
               schoss, suchen Sie neben den Kantinen und Gara-  Foto: Benjamin Reding                gehen, wenn es in den Entwürfen des Meisters allzu-
               gen. Wenn Sie dort ein Bad, eine Küche und ein,                                       streng zugeht. Oder es kann ein wahres Fest werden,
               zwei, drei nicht näher bezeichnete Räume entde -                                      wenn sich, wie in der Hausmeisterwohnung in Hans
               cken, dann sind Sie richtig. Das ist die Hausmeisterwohnung. Vier Grundtypen gibt es,  Scharouns Berliner Philharmonie, die „Wiederholungstat“ mit der „Gegönnten“ mischt.
               sich je nach Art und Charakter des entwerfenden Architekten  wiederholend. DIE  Das von Scharoun in den Originalplänen als „Heizerwohnung“ titulierte Apartment ist
               MÖNCHSZELLE: Du sollst nicht stehlen, Du sollst nicht ehebrechen, Du sollst nicht woh-  nicht nur die liebevoll verkleinerte Version der ekstatischen Philharmonie darüber, son-
               nen in Räumen, die größer sind als eine Mönchszelle. Der Asket als Architekt pflegt  dern offeriert dem Heizer zwei helle Kinderzimmer in Südlage, einen Garten mit Terrasse
               eherne Grundsätze, für ihn skizziert der 4H-Bleistift nicht Räume, er trennt damit Gut von  und Pergola und ein Wohnzimmer mit Blick auf den Potsdamer Platz. Fast zu schade,
               Böse. Er liebt den rechten Winkel, er liebt den Hall im leeren Raum, er liebt das  dass es dort keinen Heizer mit zwei glücklichen Kindern mehr gibt, wie auch an meiner
               verschleier te Grau einer ruppig gegossenen Waschbetonwand. Für Menschen bauen?  alten Schule keinen Hausmeister mehr. Eine Facility-Management GmbH übernahm den
               Aber nein, die verschmutzen nur die makellose Geometrie. Er baut eine Idee, strahlend,  Job, deren Angestellte sich nun auf dem freien Markt nach Wohnraum umschauen müs-
               klar, unerbittlich. Seine Hausmeisterwohnungen kennen weder Kinder noch Badezim-  sen. Der alte Hausmeister soll an seinem letzten Arbeitstag zwei zerknautschte Pappkar-
               merfenster noch direkt belichtete Flure. Eine Lage im Erdgeschoss wird ihnen, dann  tons vor die Schultür gestellt haben, bis zum Rand gefüllt mit Spielbällen.
               könnte es dort ja Garten und Terrasse geben, verwehrt. Der Asket legt die Wohnung gern  Und nun habe ich noch eine Bitte: Wohnen Sie in einer Hausmeisterwohnung?
               ins Tiefgeschoss, hinter das Parkdeck oder nah an den Heizungskeller, und er wäre viel-  Vielleicht im Typ Mönchszelle oder Gegönnte oder vielleicht sogar in der Wieder-
               leicht sogar geschmeichelt, sagte man: nah am Fegefeuer. DIE GEGÖNNTE: Manche Ar-  holungstat? Dann gibt es ein Geschenk für Sie! Schicken Sie ein Foto Ihrer Haus-
               chitekten rauchen Zigarren, fahren seltene Sportwagen und segeln im Sommer durch die  meisterwohnung an pstephan@ait-online.de und Sie erhalten die gesammelten
               Ägäis. Der „Gönner“-Architekt tut es gewiss. Er bewohnt ein von ihm selbst entworfenes,  „Redings Essays“! Das Foto mit der schönsten, schrägsten, asketischsten Haus-
               exaltiertes Haus und sorgt dafür, dass es in den Architekturzeitschriften publiziert wird.  meisterwohnung wird in AIT veröffentlicht.


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