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Orte & Visionen                          Hugo Häring                              Baumschlager Eberle Berlin

             Nach Häuser & Menschen und Raum & Zeit vervollständigt   Der im baden-württembergischen Biberach geborene   Im Jahr 1985 gründeten Dietmar Eberle und Carlo Baum-
             Orte & Visionen das aktuelle Buch-Trio von „Urlaubsarchi-  Architekt und Architekturtheoretiker Hugo Häring (1882–  schlager das Büro Baumschlager Eberle in Vorarlberg,
             tektur“. Mit dem gewohnt anspruchsvollen Layout, den  1958) zählt zu den großen Funktionalisten des 20. Jahr-  Österreich. Zunächst lag ihr Schwerpunkt auf dem zeitge-
             hervorragenden Bildern und den fachkundigen Textbeiträ-  hunderts. Sein Konzept eines „organhaften Bauens“ hat   nössischen Wohnungsbau und in der Region Vorarlberg,
             gen ist es alles andere als ein weiteres Coffee Table Book,  er in den 1920er-Jahren von Berlin aus in die Architek-  wo sie ab 1995 aber zunehmend auch öffentliche Gebäu-
             sondern ein wertvoller Buchbeitrag zum Thema Urlaub  turdiskussion eingebracht. Als Sekretär der unter seiner   de realisierten. Neben dem Gründungsbüro in Lochau
             und Reisen. Jedem Ort wohnt ein ihm angeborenes, urei-  Mitwirkung 1923 gegründeten Architektenvereinigung „Der   bei Bregenz ist 1999 eine erste Dependance in Vaduz, ,
             genes Potenzial inne. Manchmal ist es fast unmittelbar  Ring“ gehörte er zu den zentralen Figuren der deutschen   entstanden. 2001 kam mit Wien ein weiterer Bürostandort
             greifbar, schimmert ungeduldig unter der Oberfläche und  Architektur-Avantgarde der Zwischenkriegszeit. In seinen   hinzu. Es folgten Bürogründungen in St. Gallen (2006),
             wartet nur darauf, ans Licht geholt zu werden. Oftmals  Entwürfen verfolgte Häring das Ziel, nach individuellen   Zürich (2007) und Hongkong (2008). Im Jahr 2010 eröff-
             schlummert es tief verborgen, versteckt sich scheu oder ist  Bedürfnissen zu bauen. Formprinzipien der industriellen   neten Baumschlager Eberle Architekten einen weiteren
             im Laufe der Zeit einfach in Vergessenheit geraten. Dann  Produktion oder der klassischen Tradition der Architektur   Standort in Berlin – verbunden mit einem sehr speziellen
             bedarf es Menschen mit feinem Blick und Gespür für das  wandte er zwar an, sie sollten jedoch in der Gesamtidee   Auftrag: Das weltweit agierende Architekturbüro gestal-
             Wesen eines Ortes, für ungeschliffene Perlen und gewag-  des „organhaften Bauens“ aufgehoben sein, die den Rang   tete in den frühen Jahren von der deutschen Hauptstadt
             te Möglichkeiten. Daraus entstehen Visionen, die ihren  des Individuellen achtet. Härings Position, seine Reflexi-  aus die globalen Wettbewerbsbeiträge für Baumschlager
             Ausdruck in Architekturprojekten finden, die Charakter,  on der gesellschaftlichen Rolle und Verantwortung des   Eberle international. Durch die Wettbewerbserfolge, vor
             Kontext und Geschichte eines Ortes meisterhaft in Szene  Architekten, ist nach wie vor aktuell und gerade in den   allem im Wohnbau in und um Berlin, wurden vom Ber-
             setzen – urlauben lässt es sich hier schlicht wunderbar.  derzeitigen Krisen anschlussfähig. Der Katalog zur Aus-  liner Büro mit der Zeit auch Werkplanungen für die Rea-
             Der Titel entführt wieder an besondere Urlaubsorte in  stellung „Hugo Häring. Die Welt ist noch nicht ganz fer-  lisierungen übernommen. Als Leitfaden diente hier stets
             Europa, deren Architektur und Gastkultur neue Maßstäbe  tig“, die bis zum Frühjahr 2024 im Museum Biberach zu   Dietmar Eberles Motto: Für den Alltag zu bauen. So lautet
             setzen – vom verwunschenen Pyrenäenschloss mit moder-  sehen war, thematisiert die heutige Bedeutung Härings.   auch der Titel der neuen Werksmonografie des Berliner
             nem Twist zum Tête-à-Tête von Sichtbeton mit einem alten  Mit zahlreichen Zeichnungen aus dem Hugo-Häring-Archiv   Büros, die neben etwa 40 Baudokumentationen auch ein
             Bauernhaus, von der einsamen Holzhytte unter tanzenden  der Akademie der Künste Berlin sowie zeitgenössischen   Interview von Jürgen Tietz mit Gerd Jäger, einen Beitrag
             Nordlichtern zur gebauten Hommage an die Zeitgeschichte  und aktuellen Fotografien der wichtigsten Bauten und   zum Wohnbau in Deutschland mit Schwerpunkt Berlin
             eines stillen Tals. Die aktuelle Buchserie wurde gerade – zu  Modelle liefert das Buch einen bedeutenden Beitrag zur   von Gerd Jäger und einen sehenswerten Fotoessay der
             Recht – mit dem ICMA Gold Award 2024 ausgezeichnet.  Architekturforschung des 20. Jahrhunderts.   Berliner Fotografin Claudia Klein enthält.


             Orte & Visionen Buch mit eingelegtem Magazin. Herausgegeben von Jan Hamer.   Hugo Häring. Die Welt ist noch nicht ganz fertig   Bauen für den Alltag 2010–2025
             Erschienen 2023 in der Edition Urlaubsarchitektur. Buch Orte: Englisch/Deutsch.    Herausgegeben von Judith Bihr und Matthias Schirren.   Herausgegeben von Gerd Jäger, Claudia Klein und Corinna Moesges.
             250 Seiten. Hardcover mit Leinen-Einband. Format: 30 ² 24 cm. Magazin Visionen:   Erschienen 2024 im Wasmuth Verlag, Tübingen.   Erschienen 2024 im Verlag Birkhäuser, Basel.
             Englisch/Deutsch. 68 Seiten, zahlreiche Abbildungen. 46,95 EUR.   Englisch/Deutsch. 156 Seiten. Softcover. Format: 26 ² 21 cm. 24,80 EUR.   Englisch/Deutsch. 396 Seiten. Hardcover. Format: 17 ² 24 cm. 54,00 EUR.
             ISBN 978-3-9817367-8-6                   ISBN 978-3-8030-2397-1                   ISBN 978-3-0356-2838-8

                                                                                                                          AIT 6.2024  •  065
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