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Entwurf • Design ORA, CZ-Znojmo
                                                                          Bauherr • Client Kocanda Kravsko, CZ-Kravsko
                                                                          Standort • Location Kravsko 45, CZ-Kravsko
                                                                          Nutzfläche • Floor space 6850 m 2
                                                                          Fotos • Photos BoysPlayNice, CZ-Rožnov
                                                                          Mehr Infos auf Seite • More infos on page 126































             Neuer, barrierefreier Hauptzugang aus rotem Beton • New, barrier-free main entrance made of red concrete  Die Wandinstallation im Foyer besteht aus alten Gussformen. • The wall installation consists of old casting moulds


             von • by ORA, CZ-Znojmo
             D  ie Bezeichnung Kocanda-Kravsko-Komplexes bezieht sich auf den Standort der Anla-  musste das sich zu einer Seite neigende Gebäude mit Stützpfeilern stabilisiert werden.
                ge unweit des Dorfes Kravsko und bedeutet sinngemäß übersetzt „Gott sei Dank  Die Bestandsfassade wie auch der erstaunlich intakte Dachstuhl blieben erhalten und
             Kravsko“ oder auch „Zum Glück Kravsko“. Inmitten eines Weinanbaugebietes in der Regi-  wahren so weitestgehend das ursprüngliche Erscheinungsbild.
             on Südmähren entstand hier bereits im Mittelalter eine Poststation an der Fernstraße von
             Prag nach Wien. Der historisch seither stetig gewachsene Komplex verfügt neben einem  Ein 50 Meter langer Lagerbau wird zum Gästehaus
             Gästehaus mit mittelalterlichen und barocken Strukturen über verschiedene Erwei-
             terungsbauten aus der zweiten Hälfte des 19. Jahrhunderts, die den Komplex zu einer   Um das etwa 50 Meter lange, aber nur sechs Meter breite Lagerhaus schlussendlich neu
             industriellen Keramikfabrik ertüchtigten. Nach rund 100 Jahren der Herstellung kerami-  zu nutzen, wurde das Gebäude wie eine Salami in einzelne Raumsegmente unterteilt.
             scher Produkte stand die Anlage schlussendlich im Zuge eines Besitzerwechsels in den  Aufgrund der schmalen Struktur erfolgte die Erschließung allerdings über eine auf der
             1990er-Jahren leer und verfiel. Die Wende brachten erst die aktuellen, aus Kravsko stam-  Gebäudesüdseite angebaute, zweigeschossige Galerie aus Eichenholz, die dank ihrer
             menden Eigentümer, die es sich zur Aufgabe gemacht haben, den Komplex mit Events,   vertikalen Holzlattenverkleidung einer wettergeschützten Veranda gleichkommt. Das alte
             Veranstaltungsräumen und Gästezimmern wiederzubeleben. Die Umsetzung erfolgt seit-  Lager erhielt damit zum Hof des Gebäudekomplexes ein neues Erscheinungsbild. Im Kon-
             her schnittweise in Zusammenarbeit mit dem Team von original regional architecture  trast dazu blieb die Fassade auf der Nordseite unverändert. Lediglich aus den vorgefun-
             (ORA), die sich dem Erhalt und der Pflege von regionaler und historischer Architektur-  denen historischen Sprossenfenstern wurde die Einfachverglasung entfernt. Eine innen
             qualität verschrieben haben. Der erste Sanierungsabschnitt von 2018 bis 2020 umfasste   liegende Aufdoppelung mit neuen Fenstern sorgt für den thermischen Raumabschluss,
             die Sanierung des historischen Gästehauses samt barockem Festsaal und der Installation   während die alten Stahlsprossen aufgrund der niedrigen Brüstungshöhe jetzt als Absturz-
             eines Restaurants samt Küche zur Vermietung als Veranstaltungs- und Hochzeitslocation.   sicherung dienen. Die im Erdgeschoss befindlichen Zimmer sind helle Räume, an die sich
             Der zweite, jetzt erfolgte Abschnitt widmet sich der Neunutzung dreier Fabrikgebäude.  jeweils ein fensterloses Bad anschließt. Tageslicht fällt bei dieser Raumkonstellation über
                                                                          eine Sprossenverglasung über den Gastraum ins Bad. Im Obergeschoss bestimmt hinge-
             Neue Ordnungsstrukturen für alte Gemäuer                     gen die freiliegende Dachkonstruktion die Raumeindrücke. Die Bretter, die ursprünglich
                                                                          den Dachspitz verkleideten, fanden unterdessen als Bodenbelag ihre neue Bestimmung.
             Weithin sichtbares Wahrzeichen und Orientierungspunkt des Geländes ist der Fab-  Darüber hinaus ergänzen auch hier alte Gipsformen – mal in Form von Tischen oder
             rikschornstein. Unmittelbar an diesen Ankerpunkt angrenzend, findet sich die alte  Lampenschirmen und mal als rein kunstvolle Skulpturen – die Raumausstattung.
             Tonmischhalle, die jetzt als Empfangs- und Personalgebäude fungiert. Der dafür neu
             geschaffene, barrierefreie Hauptzugang liegt an der ehemaligen Rückseite des Gelän-  Geschichte soll sichtbar bleiben – weitere Maßnahmen geplant
             des und weist mit einer großzügig bemessenen, roten Rampen- und Treppenanlage
             aus Beton auf die aktuelle Gebäudefunktion hin. Um den Charakter und die Identität   Die ehemalige Sortieranlage ist das jüngste Gebäude der Anlage. Mitte des letzten Jahr-
             der Gebäude zu erhalten, wurden in der Empfangshalle sämtliche Tonmischer an ihren   hunderts gebaut, schien der Industriebau wie geschaffen für eine zusätzliche Veranstal-
             Standorten belassen und teilweise zu Präsentationsregalen umfunktioniert. Andere   tungslocation. Das Gebäude beherbergt unter anderem ein „Gewächshaus“, das durch
             vorgefundene Elemente aus der Zeit der Keramikherstellung wurden neu arrangiert  den Austausch einer üblichen Dachdeckung gegen ein Glasdach entstand. Der Zugang
             wie die Stahlschwellen, die nun als Empfangstresen dienen, oder die zahlreichen   zum Dachgeschoss erfolgt über eine schwere, geschweißte Stahltreppe, die ihrerseits ein
             Gussformen für Keramiktöpfe, die zu einer Wandinstallation aufgestapelt wurden. Für   eigenständiges Kunstobjekt darstellen soll. Diese wie alle bisher erfolgten Maßnahmen
             die Realisierung neuer Gästezimmer galt es, das auf der anderen Seite des Schorn-  legen die Intention der Planer offen, die Geschichte und den Habitus des Komplexes zu
             steins angrenzende Lagerhaus zu sanieren und umzustrukturieren. Zu diesem Zweck   pflegen und sichtbar zu erhalten. Ein dritter Bauabschnitt ist nicht ausgeschlossen.

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