Page 80 - AIT0623_E-Paper
P. 80

BAR HOTEL RESTAURANT LITERATUR •  LITERATURE
           LITERATUR








            NEUE TITEL ZUM HEFTTHEMA BAR, HOTEL UND RESTAURANT


































            Nachtclub Architektur                    Gio Ponti: Hotel Valmartello             Hotel Orania.Berlin


            Licht ins Dunkel einer Partynacht: Gentrifizierung und Co-  Eigentlich war Silke Alber, die Autorin dieser Monografie  „Bauen kann jeder, aber schön bauen, das ist die Kunst!“
            rona-Pandemie machten – vor allem – auch vor der Nacht-  zum Hotel Valmartello, auf der Suche nach einem leeren  Mit dem Zitat von Wilhelm Cremer (1945–1919), der neben
            clubszene nicht Halt. Gerade in den vergangenen drei Jah-  Bestandsgebäude als Entwurfsprojekt für ihre Masterar-  Richard Wolffenstein den Bau des heutigen Hotels Ora-
            ren wurde – nicht ohne eine gewisse Ironie – deutlich: Die  beit an der TU Wien. Doch die Themensuche führte die  nia.Berlin verantwortet, beginnt das über 100seitige Buch.
            Menschen sehnen sich nach sozialer Interaktion und ge-  ehemalige Architekturstudentin in den Vinschgau, wo ein  Das Gebäude des im Herbst 2017 eröffneten Hotels gehört
            meinsam geteilten Erlebnissen; gleichzeitig sterben Disko-  wichtiges Werk des Mailändischen Architekten Gio Ponti  fraglos zu den architektonischen Juwelen, die am Ora-
            theken, besonders in ländlichen Regionen, aus. In Tem-  ein unwürdiges Dasein fristete. Der 1937 errichtete, ge-  nienplatz im Berliner Ortsteil Kreuzberg zu finden sind. In
            porary Pleasure beleuchtet Autor John Leo Gillen, selbst  schwungene Solitär, der, als Gesamtkunstwerk geplant,  den 1910er-Jahren als Büro- und Geschäftshaus für den
            in diesem Business aufgewachsen,  wie die Szene entstan-  einst die Qualitäten eines Luxushotels mit denen einer  Kaufmann und langjährigen Stadtverordneten Leopold Ja-
            den ist, sich gewandelt und weiterentwickelt hat. Ebenso  Schutzhütte vereinte, ist seit seiner Schließung im Jahr  cobi errichtet, erfuhr das platzprägende Eckgebäude bis
            gibt er Ausblicke auf eine „Post-Club-Ära“ im aktuellen  1946 dem Verfall preisgegeben – eine tragische Architek-  zur Gegenwart mehrfache Nutzungswandel. In Wort und
            Kontext und betrachtet architektonische Besonderheiten  turgeschichte, doch zugleich eine wunderbare Materie für  Bild dokumentieren Wolfgang Schäche und David Pessier
            der gezeigten Discos. Anhand prägender Lokationen zeigt  den Fachbereich Denkmalpflege! Zumal die letzten Be-  in insgesamt vier Kapiteln ebendiese facettenreiche Bau-
            diese Publikation, wie Clubs ab den 1960er-Jahren aus  trachtungen dieses Bauwerks über 20 Jahre alt und hierzu  und Nutzungsgeschichte – von der Entwurfsplanung und
            dem Bedürfnis nach Gemeinschaft und Rückzugsmöglich-  inzwischen bisher unzugängliche Archivalien einsehbar  ihrer Realisierung über die späteren baulichen Verände-
            keiten heraus – insbesondere dem marginalisierter Grup-  geworden waren. Vor dem Hintergrund einer Bestandsauf-  rungen  bis  hin  zum  Um-  und  Ausbau  zum  Hotel
            pen – zu Safe Spaces und Orten eines hedonistischen Le-  nahme war es Alber daher möglich, den Entwurfsprozess  Orania.Berlin durch die Architekten Hilmer & Sattler und
            bensgefühls avancierten und somit viel mehr als nur ar-  Pontis von den ersten Skizzen bis zur Ausführung einge-  Albrecht. Außerdem ordnet das Autorenduo die signifi-
            chitektonisch gestaltete Räume sind. Ohne Anspruch auf  hend nachzuvollziehen. Die im Jahr 2015 eingereichte Ma-  kante Architektur in das vielschichtige Werk von Cremer
            Vollständigkeit unterteilt Gillen aus einer westlichen Per-  sterarbeit wäre an anderen Universitäten eine Doktorar-  und Wolffenstein ein und erzählt darüber hinaus pointiert
            spektive die unterschiedlichen Club-Typologien in zeitli-  beit und wurde nun zu Recht von den Betreuern Nott Ca-  von der historischen Entwicklung des für Kreuzberg so be-
            che und ortsgebundene Gruppen. Kapitelabschließende  vizel und Robert Stalla als sechster Band der Reihe Wiener  deutenden  Oranienplatzes.  Es  rekonstruiert  seine  Ge-
            Interviews mit DJs, Artists, Film- und Architekturschaffen-  Schriften für Kunstgeschichte herausgegeben. Eine Beson-  schichte, die im Jahr 1841 nach Entwürfen von Peter Jo-
            den werden ergänzt durch belebte Fotografien von Party-  derheit dieses Projekts – und vor allem für Innenarchitek-  seph Lenné ihren Anfang nimmt. Eine Fülle von histori-
            szenen, Plakaten, Planzeichnungen und Außenansichten  tInnen interessant – ist die genaue Analyse von Pontis Stu-  schen wie aktuellen Abbildungen in Schwarz-Weiß und
            der Clubs und machen Lust auf die nächste Party!     pb  dien zu einem ausdifferenzierten Farbkonzept.   kk  Farbe lassen die Schilderungen lebendig werden.   sf

            Temporary Pleasure. Nightclub Architecture from the 1960s to Today  Gio Ponti. Valmartello al Paradiso del Cevedale  Vom Geschäftshaus Jacobi zum Hotel Orania.Berlin
            Von John Leo Gillen.                     Hrsg. von N. Caviezel, R. Stalla (Wr. Schriften Kunstgeschichte & Denkmalpflege, VI).  Von Wolfgang Schäche und David Pessier.
            Erschienen 2023 im Verlag Prestel, München.  Erschienen 2021 im Deutschen Kunstverlag, München.  Erschienen 2019 im Verlag Jovis, Berlin.
            Englisch. 224 Seiten. Hardcover. Format: 24 × 28 cm. 45,00 EUR.  Deutsch. 176 Seiten. Softcover. Format: 14,7 × 23,5 cm. 34,90 EUR.  Deutsch. 128 Seiten. Hardcover. Format: 19 × 30 cm. 38,00 EUR.
            ISBN 978-3-7913-8798-7                   ISBN 978-3-42280-017-5                   ISBN 978-3-86859-525-3

            080 •  AIT 6.2023
   75   76   77   78   79   80   81   82   83   84   85